18. Herbstkonzert
am 18.11.1995 in der Stadthalle Metzingen
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Ludwig van Beethoven (1770 – 1827)
Ouvertüre zu dem Ballett “Die Geschöpfe des Prometheus”, op. 43
Prometheus ist eine der großartigstenEingebungen der griechischen Mythologie. Aischylos hat der Gestalt des an den Kaukasus geschmiedeten Titanen, der leiden musste, weil er durch seine Gaben den Menschen zur Selbständigkeit verhalf, eine über die Zeiten dauernde Ausstrahlungskraft verliehen. Die hellenistische Zeit machte Prometheus sogar zum Schöpfer des Menschengeschlechts. An diese Version der Sage knüpfte der junge Goethe beim Entwurf eines Prometheus-Dramas an und ließ in dem 1774 entstanden Hymnus Prometheus gegen Zeus rufen:
“… Hier sitz´ ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde,
Ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Zu leiden, weinen,
Genießen und zu freuen sich,
und dein nicht zu achten,
Wie ich.”
Prometheus – Lavierte Federzeichnung
von J. W. Goethe, um 1810
Aus diesem prometheischen Geiste heraus scheint mir Beethoven die Prometheus-Ouvertüre geschrieben zu haben mit den trotzigen Akkordschlägen des einleitenden Adagios, mit dem vorwärtsdrängenden 1. Allegro-Thema, das zunächst im pp dahin huscht um dann im ff daher zu stürmen mit dem Synkopenmotiv, das, zuerst in den Begleitstimmen auftretend, immer mehr an Selbständigkeit gewinnt und in der Durchführung wie in der Überleitung zur abschließenden Coda sich in kraftvoller Steigerung entfaltet. Im Gegensatz dazu steht das zarte und lichtvoll in die Höhe steigende im wesentlichen den Holzbläsern überlassene 2. Allegro-Thema. Auch das Zarte gehört zum Prometheischen.
Beethoven hat diese Ouvertüre als Einleitung zu seiner Musik zu dem Ballett »Die Geschöpfe des Prometheus« geschrieben, in dem an zwei von Prometheus beseelten Tonstatuen pantomimisch dargestellt wird, wie die Menschen durch Musik zu Vernunft, höherer Seelenfähigkeit und Kultur hingeführt werden. Das Libretto schrieb der Ballettmeister Salvatore Vigano zu Ehren der Kaiserin.
Beethoven hat die Musik zu diesem Ballett in den Jahren 1800 und 1801 geschrieben. Im Jahre vorher hatte er die Arbeiten an der 1. Symphonie beendet; die Prometheus-Ouvertüre lässt eine gewisse Verwandtschaft zum 1. Satz der Symphonie erkennen.
Franz Schubert (1797-1828)
Konzertstück für Violine und Orchester in D-Dur, D 345
Dieses kleine Konzertstück ist das einzige Werk, das Schubert für ein Soloinstrument und Orchester geschrieben hat. Bruder Ferdinand hat es als »Violinconcert in D« unter die im Jahre 1816 entstandenen Stücke in sein Verzeichnis der Werke Schuberts eingetragen mit dem Zusatz »Für seinen Bruder Ferdinand«. Für den kleinen »familiären« Kreis ist es also zunächst gedacht gewesen. Was man das Virtuose nennt, fehlt weitgehend, und doch ist’s ein Werk höchsten Anspruchs. 1816 war Schubert noch keine 20 Jahre alt, aber trotz seiner Jugend hatte er schon so viel bezaubernde Musik geschrieben, darunter allein 5 Symphonien, die »Tragische« und die herrliche 5. Symphonie in B-Dur.
Das Konzertstück beginnt mit einem Adagio, das nach kurzer Orchestereinleitung dem Solisten manch Gelegenheit zu schöner expressiver Gestaltung bietet; überraschende harmonische Wendungen verleihen dem kurzen Satz besonderen Gehalt. Das folgende Allegro ist als Rondo angelegt, dessen schlichtes beim Solisten und im Orchester immer wiederkehrendes D-Dur-Thema durch die akzentsetzenden Vorhalte seine Lebendigkeit erhält, die auf den ganzen Satz ausstrahlt. Die Zwischenstücke führen in andere Tonarten, besonders G-Dur, auch dem Moll, besonders g- und d-Moll, wird Raum gegönnt.
Camille Saint-Saens (1835 – 1921)
Havanaise für Violine und Orchester op 83
Introduction et Rondo capriccioso für Violine und Orchester op 28
In seinem Komponieren hat Saint-Saens, an klassische und romantische Vorbilder anknüpfend, schon früh zu einem eigenen Stil gefunden, der, einmal zu einer gewissen Vollkommenheit gereift, sich im Laufe seines langen Lebens kaum gewandelt hat. Eine besondere Note haben einzelne Werke durch die Einbeziehung folkloristischer Elemente erfahren, die Konzerte für Soloinstrumente und Orchester außerdem dadurch, dass er sich bei seiner Arbeit immer wieder den Rat bedeutsamer Virtuosen einholte und so im Solopart die klanglichen und technischen Möglichkeiten der Instrumente voll zu berücksichtigen vermochte.
So ist die 1887 entstandene Havanaise aus der Zusammenarbeit mit dem Geiger Raphael Diaz Albertini hervorgegangen, den Saint-Saens im Winter des Jahres 1885 auf einer Tournee begleitete. Der Grundrhythmus der Havanaise (oder Habanera), eines spanisch-kubanischen Gesellschaftstanzes in mäßig schnellem Tempo im 2/4-Takt, wird gleich mit dem ersten Takt von den Klarinetten exponiert, eine Achtel-Triole zusammengefügt mit zwei Achteln. Dieser Rhythmus wird von der Solovioline aufgegriffen und melodisch ausgebaut, wobei die Celli im Kontrast dazu eine ostinate, den Tanzcharakter hervorhebende Figur unterlegen. Auf Virtuosität angelegte Zwischenstücke, in denen der Solist sein ganzes Können zeigen kann, sowie eine expressiv-kantable Partie unterbrechen die immer wieder neuen Verwandlungen der Havanaise. Am Ende kombiniert die Solovioline den Rhythmus der Cellofigur des Anfangs und den Havanaise- Rhythmus, in dem das Werk schließlich wie mit einer verblassenden Erinnerung verklingt.
Saint-Saens hat Introduction und Rondo capriccioso für den damals noch jungen spanisch-andalusischen »Teufelsgeiger« Pablo de Sarasate (1844-1908) geschrieben, mit dem er eng befreundet war und dem er auch zwei seiner Violinkonzerte widmete. Das kleine Werk entstand 1863. Es beginnt mit einer kurzen melancholisch-langsamen Einleitung, einem »Andante malinconico«, in dem sich ein fallendes Intervall mit einer aufsteigenden Figur, die im Scheitel wieder absinkt, zu einem sich verwandelnd wiederkehrenden Motiv verbinden. Das Thema des Rondos (Allegro ma non troppo im 6/8-Takt) mit seinen metrisch-rhythmischen Verschiebungen lässt deutlich den Einfluss spanischer Volksmusik erkennen – wohl eine »Hommage« an die Herkunft Sarasates. Die Zwischenspiele lassen dem Solisten Raum zu virtuoser Entfaltung. Besonders hingewiesen sei auf das zweite Zwischenstück, in dem das begleitende Orchester im 6/8-Takt weiterspielt, während die Solovioline ein weiches sanghaftes Thema (con morbidezza) anstimmt, was einen eigentümlichen Reiz klanglichen Verfließens ausmacht. Gegen Schluss des Satzes übernehmen die Holzbläser das Rondothema, der Solist begleitet mit Sechzehntel-Arpeggien und führt schließlich das Werk nach einer Generalpause mit brillanten Läufen dem Ende zu.
Carl Maria von Weber (1786-1826)
Sinfonie Nr. l in C-Dur, op 19, J 50
Dass der geniale Schöpfer der romantischen Oper, von dem Pfitzner einmal sagte, er »kam auf die Welt, um den Freischütz zu schreiben«, auch Symphonien komponiert hat, ist wenig bekannt. Und doch hat er deren zwei geschrieben, beide in der Zeit zwischen dem Spätsommer 1806 und Februar 1807. Der noch nicht 20-jährige Weber war damals froh, dass er sich aus der misslichen Situation, in die er als Kapellmeister in Breslau geraten war, in den Dienst des Herzogs Friedrich Eugen von Württemberg-Öls retten konnte, der sich im Schloss Carlsruhe bei Brieg in Oberschlesien ein »Versailles en miniature« geschaffen hatte, ein »Nest voll Sang und Klang«. Dort verlebte Weber mit Vater und Tante glückliche Monate und scheint im Dienste des selbst musizierenden Herzogs ein erstaunlich qualifiziertes Orchester vorgefunden zu haben, besonders was die Bläser anbetrifft.
Die beiden hier entstandenen Symphonien knüpfen wohl an die klassischen Vorbilder an, an Joseph Haydn – in Salzburg war Weber Schüler von Bruder Michael gewesen –, und an Mozart, weniger an Beethoven, dessen Dritte, die »Eroica«, gerade erst im Druck erschienen war. Zugleich aber lassen Webers Symphonien schon Auflösung der traditionellen Form erkennen, wie sie in der Folgezeit für die Weiterentwicklung symphonischen Schaffens kennzeichnend sind.
Der 1. Satz, ein Allegro con fuoco, setzt mit einer unisono vorgetragenen Tonfolge von großer dramatischer Gebärde ein, sofort schließt sich eine zarte, kantable Partie an, mehr rhapsodisch fließend als fest strukturiert, die aber bald in einem crescendo und accelerando wieder in das Eingangsmotiv einmündet, das nun durch viele Abwandlungen gehend den Fortgang des ganzen Satzes beherrscht. Nach sich immer wieder steigernder Dramatik überrascht nach einer Generalpause ein in h-Moll von den Streichern angestimmtes Seitenthema, das zunächst fast etwas schüchtern daherkommt, dann aber kräftige Bestätigung erfährt.
Sind in diesem 1. Satz auch ganz heterogene Elemente zusammengebracht, ist’s auch ein »toller Phantasiesatz, im Ouvertüren-Style allenfalls«, wie Weber selbst später einmal urteilte, so erleben wir doch ein Stück Musik von mitreißender Spontaneität und jugendlicher Frische.
Am meisten ließ Weber den 2. Satz gelten, ein Andante in c-Moll, das mit Hörner- und Trompetenklang, mit den Streichertremuli und den Soli der Oboe schon etwas von der Klangwelt des Freischütz vorauszunehmen scheint.
Das Scherzo des 3. Satzes besticht durch sein mitreißendes Tempo und die launigen Trillertakte. Im hauptsächlich den Bläsern überlassenen Trio kehrt wieder etwas Ruhe ein.
Der 4. Satz, ein Presto, ist nun wahrhaft ein Feuerwerk sprühender Lebensfreude. Nachdem die Hörner und die tiefen Streicher die Motive, die den Satz bestimmen, angespielt haben, beginnt ein furioser Wirbel, in dem diese Motivstücke, erweitert und immer wieder neu zusammengefügt, in wildem Auf und Ab in vielfältigste Beziehung treten. Teils werden die Instrumentengruppen unisono geführt, teils treten sie gegeneinander an, ein Chaos, das doch seine Gesetze hat. Plötzlich bricht das Orchester im Fortissimo ab, nur eine Flöte hält ihren Ton, ein hohes D, um in ein kurzes Zwischenspiel überzuleiten, das zuerst zwar zögernd, dann aber immer zielklarer zum kräftigen Abschluss des ersten Satzteils führt.
Die Durchführung greift ein Oktavmotiv auf, das man vorher fast überhört hat; nun huscht es, von den Streichern harmonisch neu unterlegt, durch die Bläsergruppen; die Geigen fügen ganz unerwartet eine liebliche Melodie ein, doch die schon bekannten Motivstücke setzen sich immer mehr durch, und schon sind wir nach zwei Generalpausen bei der Reprise. Diese ist nur für kurze Dauer eine Wiederholung des Satzanfangs; fast unmerklich werden die Motivelemente abgewandelt und neu kombiniert, und so wird die Symphonie zu einem grandiosen Abschluss gebracht.
Gottfried Stelzer
Matthias Hummel erhielt 8-jährig ersten Violinunterricht und studierte an der Musikhochschule Stuttgart bei Prof. Susanne Lauterbacher. Nach seinem Abschluss folgten weitere Studien bei Laura Shmider in Los Angeles.
1988 war er 1. Preisträger beim Streicherwettbewerb in Reutlingen. Er spielte in der Jungen Süddeutschen Philharmonie, der Württembergischen Philharmonie Reutlingen, dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart sowie der Santa Monica Opera und der Redlands Symphony.
Gegenwärtig ist er erster Geiger beim Rundfunk-Sinfonieorchester in Berlin.