1995 Herbstkonzert Kritiken

Sicheres Dirigenten-Gespür für dramaturgische Höhepunkte

Metzinger-Uracher Volksblatt vom 20.11.1995

Herbstkonzert des Kammerorchesters Metzingen  in der Stadthalle

METZINGEN: Während der Winter bereits erste Ausläufer schickte,  präsentierte am Samstag das Metzinger Kammerorchester unter der Leitung  von Hannes Schmeisser in der gut gefüllten Stadthalle sein 18. Herbstkonzert.  Um auch Werke mit sinfonischem Zuschnitt spielen zu können, hatten  sich die Streicher junge Verstärkung in den Bläsern geholt und  als Krönung einen ausgezeichneten Geiger, den derzeit beim Rundfunk-Sinfonieorchester  Berlin engagierten Matthias Hummel.

Bereits nach wenigen Takten wurde es deutlich: Das Kammerorchester Metzingen wartete nicht nur mit einer respektablen technischen Leistung auf, es überzeugte auch mit spannungsvollem Spiel. Dies war zweifellos ein wesentlicher Verdienst seines Dirigenten, der mit sicherem Gespür für dramaturgische Höhepunkte seine Musiker durch die Werke führte. Eher mäßig im Tempo, gleichwohl nie schleppend ging er die Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ op. 43 von Ludwig van Beethoven an und arbeitete zielstrebig die dramatischen Akzente heraus.
Seine Musiker folgten ihm mit sehr geschlossenem und konzentriertem Zusammenwirken, das sich dann in einem erfreulich homogenen Klang auszahlte. Solche Stärken erwiesen sich zugleich als ausgesprochen nützlich bei der Übernahme von Begleitungsaufgaben. Da ist zunächst Franz Schuberts Konzertstück für Violine und Orchester in D-Dur (D 345) zu nennen, eine erste Gelegenheit, um Bekanntschaft mit dem jungen Geiger Matthias Hummel zu machen.
Unaufdringlich und anfänglich recht zurückhaltend intonierte  Hummel dieses Werk. Man darf seine Interpretation dieses reizvollen Werkes  ausgewogen und differenziert nennen, obschon der Musiker zu völliger  Gelöstheit erst in den beiden Stücken von Camille Saint-Saëns  gelangte und etwas mehr Temperament auch dem Schubertschen Opus bekommen  wäre.
Havanaise op. 83 und Introduction et Rondo capriccioso op. 28 für  Violine und Orchester von Saint-Saëns gehören zum Standardrepertoire  fast jedes ambitionierten Geigers. Eingängige Melodik, ein durchsichtiger Orchestersatz und die notwendige Fingerfertigkeit des Solisten garantieren diesen Werken zugleich eine sichere Wirkung auf das Publikum. Hummel verstand es denn auch, alle Stärken des Violinparts voll auszuspielen.
Obgleich ihm die extrovertierte Gebärde, das Zur-Schau-Stellen der eigenen Fähigkeiten sichtbar fremd ist, weiß er sehr wohl mit Virtuosität und Wohlklang gleichermaßen umzugehen, sie umzusetzen in eine vollkommen schlüssige und in der technischen Darbietung atemberaubende Interpretation.
Mit Schmelz, viel Gefühl, aber ohne zerfließende Sentimentalität spielte er „seinen“ Saint-Saëns. Diesem Geiger ist äußerliche Brillanz kein Ziel, sondern tatsächlich nur ein Mittel, um eine so intelligente wie eminent musikalische Werkauffassung zum Klingen zu bringen. Das macht sein Spiel sensibel, einnehmend und sympathisch. Folgerichtig ließen ihn seine Zuhörer nicht ohne Zugabe ziehen.
Auch ohne zugkräftigen Solisten wurde die zweite Konzerthälfte mit Carl Maria von Webers erster Sinfonie in C-Dur spannend. Die Sinfonie ist ein Werk voller Enthusiasmus und das teilte sich mit. Kontrastiv angelegt und mit klarer Linienführung gestalteten Dirigent und Orchester den ersten Satz, zahlreiche heikle Passagen meist mit Bravour bewältigend: Große Ruhe verströmte dagegen das Andante, in dem die ganze Tiefe des musikalischen Geschehens ausgelotet wurde.
Dem schwungvollen Scherzo mit vor allem rustikaler Gestik folgte schließlich ein in der Tat energisches und maßvoll gebändigtes Finale, in dem noch einmal alle Beteiligten ihr Können unter Beweis stellten. Neben den gut aufeinander eingespielten Streichern ist der farbenreich und mit Charakter musizierende Bläserapparat eigentlich mehr als diese eine Erwähnung wert, doch sei stellvertretend für alle besonders das Paar Flöte / Oboe im Schlusssatz herausgehoben. Mit diesem Auftritt  konnte das Metzinger Kammerorchester wirklich Ehre einlegen, so dass am Ende das Publikum auch noch eine Orchesterzugabe wünschte. Constanze Holze

Kleine Stücke, großer  Ton

Metzinger-Uracher General-Anzeiger vom 21.11.1995

Herbstkonzert des Metzinger Kammerorchesters  in der Stadthalle

Matthias Hummel hat vom ersten Takt an ehrliche Musik gemacht und  nicht die virtuose Trumpfkarte gezogen. Der Geiger, der in drei Werken Mittelpunkt des Herbstkonzertes des Metzinger Kammorchesters war, ließ sich nicht auf publikumswirksame Äußerlichkeiten festlegen. Auch die höchst akrobatischen Fingerübungen in zwei Kompositionen von Camille Saint-Saëns waren für ihn nur »Zugaben« zu Interpretationen, die einen substanzreichen und klaren Geigenton in den Mittelpunkt stellten.
Franz Schuberts Konzertstück in D-Dur bildete den durchsichtigen Auftakt zu den drei gemeinsamen Auftritten von Solist und Orchester. Matthias Hummel musizierte das Werk als tonlich kompakte und kernige Miniatur, die sich ihrer Ausdrucksgrenzen deutlich bewusst ist. In einem gemäßigten  Tempo wurde insbesondere auf die horizontale Verbindungen schaffende kantable  Substanz des Violinklangs geachtet. Völlig entspannt gestaltete Matthias  Hummel nach diesem »Vorspiel« zwei durch und durch geigerische  Delikatessen bietende Stücke von Camille Saint-Saëns, in denen  er von einem unter Hannes Schmeisser dezent und sensibel und überaus  aufmerksam begleitenden Metzinger Kammerorchester getragen wurde.
Die »Havanaise« op. 83 spielte Matthias Hummel sehr beruhigt und mit einem offenen, ohne Druck und viel Vibrato auskommenden Ton. Über eine im Pianissimo feinste Konturen zeichnende Orchesterbegleitung setzte Matthias Hummel eine von arioser Selbstverständlichkeit geprägte Violinstimme, die auch ohne Rubati gliederungsstark Sinnabschnitte deutlich machte. Die Introduktion und das Rondo capriccioso op. 28 legten Matthias Hummel und das Metzinger Kammerorchester unter ihr musikalisches Mikroskop. Die Deutlichkeit war hier im Zusammenspiel immer präsent, und in der Violinstimme war jede Verzierung, jedes virtuose Element und jede kantable Linie glasklar transportiert. Doch nicht nur die Einzelbausteine besaßen Substanz. Die Wiedergabe von Matthias Hummel und dem Metzinger Kammerorchester war mehr als ein Folge von Momentaufnahmen. Mit Kontinuität im Tempo und vorausblickender dynamischer Gestaltung ergab sich auch in großen Dimensionen eine mehr als respektable Tiefenwirkung.
Begonnen hatte das gut besuchte Konzert in der Metzinger Stadthalle mit Ludwig van Beethovens »Prometheus« Ouvertüre, die das Metzinger Kammerorchester und sein Dirigent Hannes Schmeisser ausgeglichen zwischen Bläsern und Streichern anlegten. Besondere Höhepunkte stellten die leisen Stellen in dieser Ouvertüre dar, die spannungsvolle Vorbereitung auf ein kraftvolles Musizieren im Forte waren.
Die erste Sinfonie von Carl Maria von Weber profitierte in der Ausgestaltung durch das Metzinger Kammerorchester von den hervorragenden solistischen Leistungen der Holzbläser. Flöte und Oboen formten tonschöne und griffige Linien, die als Erweiterung des dynamisch sehr differenzierungsfähigen Orchesterklangs maßgeblichen Anteil an der Prägnanz der Wiedergabe hatten. Am gelungensten spiegelten die beiden Binnenabschnitte der Sinfonie den auf eher moderate Tempi sich stützenden Ansatz von Hannes Schmeisser und seinem Orchester wider: Das Andante als Ruhepunkt mit einer weiträumigen geblasenen Oboenmelodie und das Scherzo, das kraftvoll, aber auch betont tänzerisch angegangen wurde und so Vorbereitung auf ein Finale war, in dem der von den Hörnern an die Streicher weitergegebene Impuls bis zum Satzende trug. Daniel Knödler