2000 Herbstkonzert Kritiken

Mit Prädikat

Reutlinger General-Anzeiger vom 20.11.2000

Herbstkonzert in Metzingen

Ein spannendes, ereignisreiches Programm, hochkarätige Solisten, ein Dirigent mit Präzision und Tatkraft und ein Orchester, das Kammerorchester Metzingen, dem an diesem Abend Flügel gewachsen sind und das mit seiner Hingabe, seinem Verständnis und seinem hohen Können ein Exempel nach dem anderen an Spiel- und Klangkultur, an Stil und Gestaltungsvermögen statuiert hat: da traf alles zusammen, was das Prädikat »außergewöhnlich« rechtfertigt.
Johann Sebastian Bach im Wechsel mit Arvo Pärt. Barock und Moderne. Das war weniger eine Konstellation der Kontraste als eine des weiten Brückenschlags über die Zeiten hinweg. Bachs Musik hat ihr Ethos und die von Pärt auch.
Die recht bekannte h-Moll-Suite des Barockmeisters wurde völlig frei von mechanischen Resten musiziert: klug und lebendig: Mit Energie und Akzent. Offen und schwingend im Klang und in der Typik der einzelnen Sätze aus einem so frischen Ansatz heraus, dass zwar die tänzerische Stilisierung noch spürbar war, aber: mit den Vitaminen  einer kollektiven Spielfreude erheblich an Attraktivität gewann. Das Orchester hat unter Gereon Müller hellwach und kreativ an jedem Pult musiziert. Bach ohne Pauschalitäten oder Durchhänger – einfach große Klasse. Auch in Rhythmus und Artikulation. Julia Kiesewalter  hat mit ihrer weich und klar geblasenen Flöte das ausdrucksvolle und bewegungsstarke Glanzlicht auf diese Wiedergabe gesetzt. Die Badinerie  wird bei ihr nicht zum Dauerlauf, sondern zu einem fröhlichen, elegant  virtuosen Stück Musik.
Pärts »summa« für Streicher ist ein elegisches Werk mit vielen Wiederholungen und minimalen Veränderungen, bei dem gleichsam die Zeit stehen bleibt. Es wurde wie entrückt, wie aus Traumes Ferne musiziert. Klangsensibel bis in die Ränder eines jeden Strichs und wundersam dialogisch zwischen hohen und tiefen Instrumenten.
Bachs Doppelkonzert für zwei Violinen und  Streicher in d-Moll erfuhr eine Wiedergabe auf erlesenem Niveau. Vor allem  deswegen, weil Solisten und Orchester nicht nur perfekt agierten, sondern  wie von einer Welle der Inspiration getragen schienen. Weil hier vital  und geistreich musiziert wurde und die Momente des »concertare«,  des sich befruchtenden und steigernden Mit- und Gegeneinanders, brillant  und stimulierend aufgenommen wurden. Hans Leptin und Lisa Barry waren ein ideales Solistenpaar. Schlank im Ton. Druckvoll in der Linie. Mit Vorwärtsdrang und Übersicht. Entschieden auf die eigene Stimme pochend und doch wunderbar geeint in der gemeinsamen Manifestierung Bachscher Kunst. Da kann es schon mal funken zwischen den beiden – aber mit welchem Gewinn für die gesamte Wiedergabe und deren Elan! Das Kammerorchester Metzingen profilierte sich hier als kompetentes und ideenreiches Bach-Orchester, das sich mit Freuden und besten technischen Manieren in das Tun der Solisten  eingemischt hat.
»Tabula rasa« nannte Pärt sein Doppelkonzert für zwei Violinen, Streicher und präpariertes Klavier, das zum bewegenden und begeisternden Finale des Abend wurde. Im »ludus« überschriebenen ersten Teil geht es noch um Anklänge an barocke Motorik, doch im zweiten Teil mit der Überschrift »silentium« geht es um die Einkehr der Musik in die Stille. Ein tiefgründiges, ja ein frommes Werk, das auf jeden Effekt verzichtet. Selbst der dezent verfremdete Flügel tritt nur wie ein Glockenschlag der Zeit in Erscheinung. Feinfühlig hierbei: Jürgen Kruse.
Das Orchester entwickelte unter Gereon Müller eine berührende Nähe zu Pärts Musik. Beherrschte das wuchtig Schwirrende des ersten Teils ebenso ausdrucksmächtig wie das Meditative, Kreisende, in sich selbst Verharrende des zweiten Teils, den das Orchester mit höchster klanglicher Sublimierung behandelte. Die Solisten Hans Leptin und Lisa Barry verschmolzen mit dem Orchester zu einer Klanggebärde. hdw

Silentium: Das Schweigen tönt

Metzinger Volksblatt vom 20.11.2000

Kammerorchester: Bach trifft Arvo Pärt

Barock und Moderne: Viel Beifall gab es für die unkonventionelle Konfrontation von Kompositionen Bachs und Pärts im diesjährigen Herbstkonzert des Metzinger Kammerorchesters – unter Gereon Müller am Samstagabend in der Stadthalle.

ULRIKE ARINGER-GRAU

METZINGEN: Unter dem Motto ”Musikalische Begegnungen” waren mit Johann Sebastian Bach und Arvo Pärt zwei Komponisten gegenübergestellt, in deren Werken es zahlreiche Affinitäten und Beziehungen zu entdecken gab.

Sachlich modern

Bachs h-Moll Suite BWV 1067 und sein Doppelkonzert BWV 1043 erklangen in einer sachlich-modernen Interpretation fern jeglicher Romantizismen. Der gerade Streicherklang wirkte natürlich, aber nicht asketisch. Diese Auslegung der Werke Bachs bekam auch den beiden aufgeführten Kompositionen Arvo Pärts, ”summa” für Streicher und ”tabula rasa” für zwei Soloviolinen, präpariertes Klavier und Streichorchester bestens: ”Tabula rasa” greift nicht nur die äußere Form des Doppelkonzerts in Concerto-grosso-Anlage auf, sondern auch innere Kompositionsprinzipien wie beispielsweise das rhythmische Kontinuum. Akustisch vereinten sich hier zwei diametrale Punkte: Erschien die Tongebung bei Pärt bewusst trocken und spröde, so erklang Bach durchsichtig und fein nuanciert. Die Flötistin Julia Kiesewalter hatte sich an ein anspruchsvolles und bekanntes Werk, Bachs h-Moll-Suite, gewagt – und meisterte es mit einem ausgewogenen, klaren, teilweise durch das Orchester etwas verdeckten Ton. Die einzelnen Charakteristika der Suitensätze, wie das Majestätisch-Getragene von Ouvertüre oder Polonaise und das Lebendig-Tänzerische der Bourrée, wurden durch das empfindsame Spiel der Solistin genau getroffen.

Bemerkenswert

Während das Largo von Bachs Doppelkonzert teils Intonationsschwankungen offenbarte, überzeugten die beiden Geiger Hans Leptin und Lisa Barry um so mehr in Pärts ”tabula rasa” mit einer bemerkenswerten Interpretation. Besonders im ersten Satz ”ludus” konnten die beiden Musiker dem Titel entsprechend ihre Fertigkeit im ”Spiel” beweisen: Problemlos gelangen hier äußerst schwierige Passagen, die hohe Ansprüche besonders an die Tongebung und die Technik stellen. In ”silentium” entfaltete sich ein durch den Steigerungsprozess geprägtes Spiel mit Klängen und Klangräumen, die in einem ”tönenden Schweigen” schlossen.

Sorgfältig

Eine bemerkenswerte Darbietung nicht nur der beiden Geiger, sondern gerade auch des Orchesters: Es folgte der Direktion Gereon Müllers, die sorgfältige, große Linien nachzuempfinden suchte, mit Präzision und Enthusiasmus. Und es wusste stets die Möglichkeit zu klanglicher Entfaltung zu nutzen. Viel Beifall des Publikums für ein ungewöhnliches Konzert, in dem Musik des 18. und 20. Jahrhundert geschickt miteinander kombiniert worden war.