1999 Herbstkonzert Kritiken

Dirigat per Augenaufschlag

Metzinger-Uracher Volksblatt vom 22.11.1999

Gereon Müller und das Metzinger Kammerorchester in der Stadthalle

Zwei, die miteinander können: Das Metzinger Kammerorchester und Jung-Dirigent Gereon Müller. Dass solch harmonisches Miteinander auf dem Podium auch das Publikum beeindruckt, zeigte sich am herzlichen Schlussapplaus, den Ensemble und Debut-Dirigent beim traditionellen Herbstkonzerts in der Stadthalle einheimsten.

ROBERT MASCHKA

METZINGEN: Ein Dirigent mit Pferdeschwanz und Ohrring, groß gewachsen, rank und schlank und elegant: Schon durch seine Erscheinung nimmt Gereon Müller, der an der Stuttgarter Musikhochschule sich neben seiner Ausbildung zum Cellisten und Schulmusiker sein dirigistisches Rüstzeug angeeignet hat, für sich ein.
Darüber hinaus aber weiß er mit Menschen umzugehen. Das  zeigte sich gleich in der „Sinfonia Terza“ Gian-Francesco Fortunatis. Aufmunternd nickt er den Orchesterleuten zu und mildert damit deren Lampenfieber. Federnd leicht und doch bestimmt schlägt er den Takt, und so kommt Fortunatis heiterer Doppelsätzen mit einer Anmut und Frische daher, die wie im Allegro, so im Andante die Themen singen lässt. Geradezu hinreißend inszeniert sind die Dialoge zwischen Oboe und Primgeigen.
Vor allem – und das gilt ebenso für das 3. Klarinettenkonzert  von Karl Stamitz – bringt Müller das Orchester zu einer obertonreichen  Klangentfaltung, die selbst in der eher stumpfen Stadthallenakustik noch  Glanz ausstrahlt.
Und dann sind da ja noch die minutiös herausgearbeiteten Crescendi. Die Sforzati wiederum, selbst wenn sie auf schwachen Taktzeiten zu liegen kommen, stehen dank Müllers klarer Gestik da wie eine Eins. Dann wieder per Handzeichen eine freundliche Erinnerung ans Piano, damit die Klarinettistin Carola Schaal auf keinen Fall übertönt wird. Diese Zwölftklässlerin aus Tübingen macht ihre Sache mehr als ordentlich. Die Anfangsnervosität ist bald bezähmt, so dass die Töne des Laufwerks alsbald wie an einer Schnur herunterperlen. Manch schöne Dolce-Passage glückt der Solistin bei den liedhaft angegangenen Kantilenen. Besonders charming in seiner rustikalen Beschwingtheit: der Rondo- Reigen des Kehraussatzes.
Natürlich hatten die Leute des Metzinger Kammerorchesters vor  Modest Mussorgskis anspruchsvollen „Bildern einer Ausstellung“, denen Georg Weikert eine treffliche Kurzeinführung voranstellte, ein wenig Bammel. Zumal die von Gerhard Buchner besorgte Streicherfassung des Stücks  keineswegs spieltechnische Konzessionen macht.
Aber wieder war auf den Dirigenten hundertprozentig Verlass. Selbst bei den vertrackten Rhythmen des Gnom-Bildes schlug er in stoischer Ruhe den Takt und hatte alles im Griff. Blickkontakt mit seinem Orchester zu halten, darauf kam es Müller an.

Unverzagt, unverkrampft

Und dieses Dirigieren per Augenaufschlag koordinierte die Einsätze, ermunterte die Interpreten zu einem unverzagten und unverkrampften Spiel, so dass selbst das heikle Küken-Ballett noch mit erstaunlicher Akkuratheit daherkam. Es störte auch nicht, dass die exorbitanten Schwierigkeiten der Partitur die musizierenden Laien an Grenzen ihres Könnens führten. Grund Müllers besonnener Tempowahl blieb niemand auf der Strecke.
Und doch verkam das Werk nicht zum Übestück, sondern hatte  Bild für Bild Charakter und verbreitete Atmosphäre. Fein unterschieden sich die Promenaden-Varianten voneinander. Eindringlich in seiner lastenden Schwere gerieten der Ochsenwagen „Bydlo“ und in ihrer fahlen Klanglichkeit die Katakomben.
Bildkräftig war diese Aufführung nicht zuletzt wegen der  aus der „Kinder- und Jugendwerkstatt Metzingen“ stammenden Bebilderung,  die als Video-Show die Musik begleitete. Insbesondere der Besenritt der  „Baba-Yaga“ wurde von Volker Ströbel und Steffi van der Velden, beide  Studenten des „Kunstseminars Freie Hochschule Metzingen“, fulminant umgesetzt.
Kurzum: Dieses Herbstkonzert war eine rundum sympathische Veranstaltung. Man kann nur hoffen, die dass die Zusammenarbeit zwischen Auf dem Metzinger Kammerorchester und Gereon Müller fortgeführt wird.

Schwungvoller Einstand

Metzinger-Uracher General-Anzeiger vom 22.11.1999

Konzert des Kammerorchesters Metzingen unter  Gereon Müller

Unter der Leitung von Gereon Müller – Hannes Schmeisser, von seiner Erkrankung genesen, war in den Bratschen zu finden – zeigte das Kammerorchester Metzingen, wie gut es das Programm seines 22. Herbstkonzertes vorbereitet hatte. Bestehend aus Eröffnungsstück, Solokonzert und großem Orchesterwerk belegte der Abend eindrucksvoll den gelungenen Einstand Gereon Müllers als Dirigent des Klangkörpers.
Auch am Klang war der frische Wind zu spüren, der durch das Orchester wehte. »Der Neue« verstand es, dem Ensemble sein Musikverständnis so einzuprägen, dass es in der Umsetzung zu hören war. In der »Sinfonia Terza« von Gian-Francesco  Fortunati, ganz im Stil der Vorklassik gehalten, war die Leichtigkeit der Musik aus jeder Note herauszuhören.
Jung und dynamisch wie der Dirigent war auch  die musikalische Interpretation. Gerade die dynamische Artikulation war im Andante besonders sorgfältig gestaltet. Man darf sicher sein, dass die Intonation und das exakte Zusammenspiel der Streicher sich in absehbarer Zeit diesem hohen Niveau auch noch angleicht.
Im Konzert für Klarinette und Orchester  Nr. 2 von Karl Stamitz, der sich dieses seinerzeit brandneuen Instruments im Besonderen annahm, durfte die junge Carola Schaal brillieren. Begleitet  von dem auf gleichbleibendem Niveau agierenden Orchester reizte Carola Schaal die spieltechnischen Möglichkeiten ihres Instruments aus, ohne jedoch eine gewisse Aufregung verbergen zu können. Doch zeigte sie sehr schön geblasene Legato- und Piano-Passagen, auch die Kadenz meisterte Carola Schaal, die sich im letzten Satz dann freigespielt hatte.
Mit den »Bildern einer Ausstellung« von Modest Mussorgski hatte sich Gereon Müller ein schweres Stück Arbeit vorgenommen. Nicht in der Bearbeitung von Ravel, sondern in einer Fassung für Streichorchester von Gerhard Buchner wurde das Werk präsentiert, passend eingeleitet durch Georg Weikert, der die einzelnen Sätze charakterisierte und begleitet von einer Video-Vorführung der bei- den Studenten des Kunstseminars Freie Hochschule Metzingen, Volker Ströbel und Steffi van der Velden, die Bilder des diesjährigen Herbstprojekts der Metzinger Kinder- und Jugendwerkstatt video- graphisch umsetzten. Eine das Konzert begleitende Ausstellung im Foyer der Stadthalle zeigte diese Bilder auch real.
Erstaunlich, wie gut sich das Orchester dem schweren  Werk nähern konnte. Aus dem »Gnomus« mit seinen verzwickten  Einsätzen machte es das ihm mögliche, die Sätze »Das  alte Schloss« und »Katakomben – Cum mortuis in lingua mortua«  gerieten zu einem eindrucksvollen Stimmungsbild. Die Stärken des Orchester lagen eindeutig im ausdrucksvollen Spiel. Die belebteren Sätze waren exakt wiedergegeben, lediglich es fehlte der Mut, die Phrasen deutlich  zu konturieren und so das Werk plastischer wirken zu lassen.
Prüfstein eines jeden Orchesters ist zweifellos »Das große Tor von Kiew«. Das Tempo war so gewählt, dass die Läufe sicher bewältigt wurden und auch die Übergänge der einzelnen Register saßen. Gereon Müller jedenfalls hinterließ in seinem Debüt-Konzert einen ausgezeichneten Eindruck. Er vermochte es, Impulse zu setzen und erntete lang anhaltenden Beifall, der ermunternd auf den Dirigenten wirken sollte. lei