16. Herbstkonzert
am 20.11.1993 in der Stadthalle Metzingen
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Johann Christian Bach
Sinfonia für Doppelorchester – op. 18, Nr. 1
Mit den 6 Sinfonien op. 18 erreichte Johann Christian Bach den Höhepunkt seines symphonischen Schaffens, die Werke stammen aus der zeit, als Johann Christian Bach in London wirkte und mit seinem Freund, dem Gambisten Karl Friedrich Abel, die berühmten Bach-Abel-Konzerte veranstaltete und organisierte, die für länger als ein Jahrzehnt die hervorragenden musikalischen Ereignisse der Themsestadt waren.
“Mr. John Bach”, wie sich damals der jüngste Sohn des Thomaskantors nannte, hatte schon einen weiten Weg hinter sich, bis er als Komponist ans King´s Theatre in London gerufen wurde. Nachdem er zunächst die beim Vater begonnenen musikalischen Studien bei seinem Halbbruder Calr Philipp Emanuel in Berlin fortgesetzt hatte, führte ihn sein Weg nach Italien – nach Mailand – dort war er Domorganist – nach Bologna – dort war er Schüler des berühmten Padre Martini – und nach Neapel, der glanzvollen Stadt der italienischen Oper; fasziniert von der Anmut und Leichtigkeit der italienischen Musik hat er sich wohl am meisten von den Bachsöhnen vom strengen Stil des Vaters entfernt. Er gehört schon der neuen Epoche an, die zur Klassik hinüberführt, besonders zu Mozart, den er als Wunderkind im April des Jahres 1764 dem Londoner Adel präsentierte; kaum einem anderen zeitgenössischen Komponisten hat Mozart so viel Liebe und Bewunderung entgegengebracht wie dem “Londoner Bach”.
Die Sinfonie op. 18, hat ihren besonderen Zauber dadurch, dass der Komponist zwei verschieden besetzte Orchester mit- und gegeneinander musizieren lässt: zu den Streichern des ersten Orchesters treten 2 Oboen, 2 Fagotte und 2 Hörner, zu denen des anderen 2 Flöten. Aus dem wechselweisen Musizieren der verschiedenen Instrumentalgruppen ergibt sich ein reizvolles Rede- und Antwortspiel, das Zusammentreten beider Klangkörper setzt Akzente und bringt Steigerung und Struktur in das musikalische Geschehen.
Den 1. Satz eröffnet ein markantes Thema, das stufenweise von der Tonika zur Dominante absteigt und unisono von beiden Orchestern vorgetragen wird. Kontrastierend dazu führen gleich darauf freudig bewegte Figuren zu einem antiphonischen Musizieren, ein sanghaftes Seitenthema gesellt sich dazu, und z.T. in kunstvoller Verschränkung spielen sich die verschiedenen Instrumentalgruppen die Themen und Themenansätze wie Bälle zu; aber immer wieder behauptet zwischendurch das Kopfthema sein Recht. nach diesem quicklebendigen Spiel verklingt schließlich der Satz in einer Coda, die den Anfang der Durchführung, aber nun im pp, noch einmal aufnimmt.
Der 2. Satz, ein Andante in B-Dur, beginnt mit rokokohaft tändelnden Triolenfiguren der Geigen des 1. Orchesters, die sich aber bald als verzierende Umspielung des Hauptthemas entpuppen, das vom 2. Orchester auf seine einfache Form gebracht in seiner schönen Linienführung mit dem seltsamen Quartsprung im 2. Takt und den seufzenden Vorhalten Johann Christian Bach als genialen Erfinder empfindsamer Melodie erweist. Die Triolenfiguren durchweben den ganzen Satz, wobei die Mittelstimmen in erstaunlicher Selbständigkeit große melodische Bögen spannen, die Triolen schleichen sich auch in das 2. Thema hinein, das nach einem zweitaktigen Unisonogang und einer kurzen Überleitung für kurze zeit eine neue Stimmung in den Satz bringt.
Ganz im Gegensatz zu der zarten Filigranarbeit des 2. Satzes – Hörner und Fagotte mussten da schweigen – stürzt der 3. Satz recht wie ein Wirbelwind daher mit böigen Akzenten, eine dreiteilige Gigue im 6/8 Takt. Die Kunst des Wechselspiels der Instrumentalgruppen gelangt hier, oft in feiner durchbrochener Arbeit, zu einer letzten Steigerung.
Joseph Haydn
Konzert für Trompete und Orchester in Es-Dur
Das Trompetenkonzert ist das letzte der Konzerte, die Haydn für ein Soloinstrument und Orchester geschrieben hat. Es entstand 1796 nach der Rückkehr von der zweiten Englandreise. Es war ein besonderer Anlass, der Haydn dazu brachte, nach längerer Pause noch einmal ein Konzert für ein Soloinstrument zu komponieren. Der Wiener Hoftrompeter Anton Weidinger (1767 – 1852), ein Freund Haydns, hatte eine Trompete konstruiert, die es durch ein System von Klappen, wie sie bei Holzblasinstrumenten üblich sind, ermöglichte, die vollständige chromatische Skala auch in der Tiefe zu blasen und eine größere Virtuosität zu entfalten. Es ist nun erstaunlich, mit welcher Vitalität der schon ins Greisenalter gehende Haydn die Möglichkeiten des gerade erst erfundenen Instrumentes erfasste und in seiner Komposition zu wirkungsvoller Entfaltung zu bringen verstand.
Die Orchestereinleitung des 1. Satzes stellt schon fast ganz das thematische Material dieses Satzes vor: das in immer neuen Ansätzen jeweils höher aufsteigende Hauptthema, in dem aber auch schon die an Trillern emporkletternde Linie des 2. Themas vorgezeichnet ist; schon hören wir chromatische Fortschreibungen, in denen dann der Solist seine Kunst zeigt; und fast unmerklich werden wir durch typische Phrasen und Figuren auf das Soloinstrument eingestimmt. Wenn dann die Trompete einsetzt, nimmt sie zunächst in strahlender Ruhe das Thema auf, um sich dann aber in schnellen Läufen, in kühnen Oktavsprüngen und perlenden Trillerketten immer virtuoser zu gebärden, wobei das Orchestern nicht nur begleitet, sondern bis in die kleinsten Phrasen hinein Dialogpartner bleibt.
Der 2. Satz, ein Andante im pastoralen 6/8-Takt bietet in einem einfachen liedhaften Thema der Trompete die Gelegenheit, die lyrisch-kantablen Qualitäten des Instruments zur Geltung zu bringen. Nach einem nach Ces-Dur modulierenden Mittelteil, der das Soloinstrument in einen zuvor für Blechblasinstrumente unerreichbaren Tonbezirk führt, wird das erste Thema wiederholt.
Der 3. Satz, ein Allegro in Rondoform, eröffnet ein in seiner Einfachheit großartiges Thema; zuerst bringen es die 1. Violinen, dann treten die Bläser des Orchesters hinzu, schließlich, nach einem Zwischenspiel, verleiht die Trompete dem Thema seinen vollen Glanz. Ein echtes Haydnthema! Und man wird seiner nicht überdrüssig, wenn man ihm, wie es eben bei einem Rondo geschieht, immer wieder begegnet, unterbrochen durch Zwischenspiele, in denen das Soloinstrument all seine Möglichkeiten zeigen kann. Nach einer kurzen Kadenz setzt die Trompete ein letztes Mal zum Thema an, bricht aber mit einer Phrasenwiederholung plötzlich ab und führt mit markanten Quartintervallen zum Schlussakkord hin.
Gottfried Stelzer
Lajos Papp
Vazlatok – Skizzen für Streicher
Die Vazlatok oder Sketches von Lajos Papp stellen stilistisch das modernste Orchesterwerk dar, das je auf einem Programm des Kammerorchesters Metzingen stand. Der 1935 geborene ungarische Komponist schrieb die Stücke im Jahr 1964. Wie der Titel schon andeutet, handelt es sich um kleine Skizzen, genauer um acht etwa einminütige Miniaturstücke, von denen fünf für das Programm ausgewählt wurden.
Papps Skizzen orientieren sich am Klangideal der sogenannten »punktuellen Musik«, die ihren Namen daher hat, dass ihr Charakter durch momentan präsente Kurzmotive, Einzeltöne und Einzelklänge geprägt ist. Der Komponist bedient sich einer freien Atonalität ohne konstruktive Züge und setzt als kompositorischen Schwerpunkt eine differenzierte Klangerzeugung. Zu den klassischen Techniken der Tonerzeugung wie etwa arco, pizzicato, tremolo treten unkonventionelle Spielarten wie sul ponticello (am Steg), sul tasto (am Griffbrett), flageolett oder glissando. Die Spieltechniken wechseln ständig und werden nur kurzfristig, also punktuell eingesetzt. Diese für das Orchester zum Teil ungewohnte Klangdifferenzierung bei den oft isolierten und mitunter taktlich schwierig platzierten Klangereignissen, denen der herkömmliche melodische Zusammenhang fehlt, erfordert ein besonderes Einfühlungsvermögen und eine erhöhte Wendigkeit und Konzentration bei den Spielern. Auch beim Hören merkt man gleich: den punktuellen Papp-Stil zu spielen, ist kein Pappenstiel. Sicher ist es nicht fehl am Platz, die Skizzen Papps einfach unbefangen als abstrakte Klangbilder auf sich wirken zu lassen. Eine über den momentanen Klangausdruck hinausgehende sinntragende Struktur zu benennen oder herauszuhören ist kaum möglich. Das einzige, zweifellos etwas magere, wiederkehrende Moment ist das: Ein Klangereignis oder Kurzmotiv wandert nacheinander durch die Stimmen von den hohen Violinen in die tiefen Bässe und ein anderes danach wieder umgekehrt von der Tiefe in die Höhe.
Die 1. Skizze (Allegro) beginnt etwa mit einem absteigenden Pianissimo-Ton und einem aufsteigenden Tremolo-Motiv mit seiner kratzigen Klangfarbe, die durch das Sul-Ponticello-Spiel ganz nahe am Steg entsteht; anschließend steigt eine gezupfte Figur ab und auf; es folgen einige kurz rhythmisierte und einige lang gedehnte Akkorde, mehrfach unterbrochen durch ein, zwei Solo- oder Pizzicato-Töne, und schon ist die Skizze zu Ende. Alles geht so schnell vorüber, dass die Beschreibung mit Worten fast länger dauert als der tatsächliche Klang.
In der 2. Skizze (Lento) im langsamen, punktierten Rhythmus dominiert das Ab und Auf unregelmäßiger, bizarrer Sprünge.
Die 3. Skizze (Allegro moderato) lässt einige repetierte Töne durch die Stimmen wandern, häuft sie in kurzen Akkorden, übergibt sie der Solovioline und schließt bereits nach 20 Sekunden mit einigen hingestreuten Pizzicati ab.
Die 4. Skizze (Lento): ein Einzelton, ein Crescendo-Akkord, einige gestrichene und gezupfte Solo-Glissandos, einige Tremoli in verschiedenen Stricharten, dazwischen ein paar Akkorde, dann die Solostreicher mit Springbogen, zweimal aufsteigende Einzelklänge, ein fahles Tremolo am Steg und abschließend einige Springbogen-Akkorde des ganzen Orchesters.
Die 6. Skizze (Allegro) beginnt mit einem pendelnden Quartenmotiv und greift dann Passagen aus der ersten und dritten Skizze auf; letztere wird sogar nochmals komplett integriert, so dass der Hörer auch einmal Gelegenheit hat, sein Gedächtnis für abstrakte Klangstrukturen zu testen.
Dr. Wilfried Neumaier
Friedrich Witt
Jenaer Symphonie C-Dur
»Ludwig van Beethoven – Jenaer Symphonie – C-Dur« – so steht es auf dem Titelblatt der Noten, von denen wir spielen; herausgegeben wurden sie von Fritz Stein bei Breitkopf & Härtel, 1911.
Mit dieser ersten Ausgabe des Werkes hat es eine besondere Bewandtnis: Im Notenarchiv des sog. »Akademischen Konzerts« in Jena entdeckte Anfang unseres Jahrhunderts der damalige Universitäts-Musikdirektor Fritz Stein die Abschriften der Instrumentalstimmen einer Symphonie und fand, von der Hand des Kopisten geschrieben, auf der Stimme der 2. Violine den Vermerk »Par Louis van Beethoven«, auf der des Cellos »Symphonie von Beethoven« (sie). Stein glaubte eine Jugendsymphonie Beethovens aufgefunden zu haben. Im Vorwort der aus den Einzelstimmen zusammengestellten Partitur schreibt er: »… Beschaffenheit des Papiers, Schriftduktus und Schreibweise der dynamischen Zeichen weisen die Stimmen mit ziemlicher Sicherheit dem Ende des 18. Jahrhunderts zu. Da Beethovens Name zur Zeit der Niederschrift in weiteren Kreisen noch unbekannt war…, so ist eine mit jener Aufschrift beabsichtigte Fälschung nicht wohl anzunehmen.« In weiteren Ausführungen versucht Stein »schwerwiegende Gründe der Autorschaft Beethovens« durch Aufzeigen »auffallender Beethovenianismen« anzuführen. Stein bekam durchaus Zustimmung von einem Teil der damaligen Fachwelt; so hielt es der bekannte Musikwissenschaftler Hugo Riemann durchaus für möglich, dass die aufgefundene Komposition »zu den zurückgehaltenen Werken der letzten Bonner Jahre zu zählen sei«. Kein geringerer als Max Reger veröffentlichte ein Arrangement der Symphonie für Klavier
zu 4 Händen. Es wurden jedoch auch Zweifel laut; man verwies auf den »auffallend glatten Stil« mancher Partien des Werkes wie auch auf das nahezu völlige Fehlen biographischer Hinweise, und so wähnte man den Autor eher unter den weniger bekannt gewordenen Komponisten einer der früh-klassischen Schulen. Diese Vermutung wurde bestätigt, als der amerikanische Musikwissenschaftler und Haydn-Herausgeber C. Ch. R. Landon 1957 in einem Katalog des Benediktinerklosters Göttweig (ca. 60 km westl. von Wien) den Themenanfang der »Jenaer Symphonie« mit dem Zusatz »Symphonia Authore Witt, Capellmagister Würzburg« gekennzeichnet fand.
Friedrich Witt, aus einem Dorf unweit von Bad Mergentheim stammend, im gleichen Jahr wie Beethoven geboren, war zunächst »Kammermusikus« in der Kapelle des Fürsten Oettingen-Wallerstein, unternahm dann mehrere Reisen, unter anderem auch nach Wien. 1802 ging er nach Würzburg, wo er bis zu seinem Tode beim Fürstbischof und am Theater als Kapellmeister und Komponist wirkte. Er hat eine beachtliche Anzahl von Werken hinterlassen, darunter 9 »Sinfonies a grand Orchestre«. Wenn er auch an sein Vorbild Joseph Haydn »in Erfindung, Satzkunst und geistigem Gehalt« nicht heranreichte, so war er doch »als gewandter Techniker zu beachtlichen Leistungen befähigt, wie die Jenaer Symphonie beweist« (so Oskar Kaul, MGG). Die Symphonie schließt sich in Struktur und Aufbau dem klassischen Vorbild an.
Der I. Satz beginnt mit einer langsamen Einleitung (Adagio ¿/4), die von überraschenden dynamischen Kontrasten geprägt ist; den Effekt des unvermittelten Nebeneinander von f und p kann man im ganzen Werk beobachten.
Das der zögernd endenden Einleitung folgende Allegro vivace setzt sofort mit dem kräftig und frisch aus der Tonika-Harmonie entwickelten Hauptthema ein, dem sich nach imitierenden Zwischenpartien ein kantables Seitenthema in der Dominanttonart anschließt. Nach einer »ziemlich dürftigen« Durchführung – dies gibt sogar Stein zu – wird der 1. Teil des Satzes mit nur wenigen Veränderungen wiederholt.
Der 2. Satz, ein Adagio cantabile in F-Dur (¿/s), ist von einem liedhaften Thema geprägt, das zunächst von den Streichern eingeführt wird; Steigerungen werden durch das allmähliche Hinzutreten der Blasinstrumente erreicht. Der Mittelteil, ein Minore in f-Moll, bringt dynamische Spannung in den Satz. Der 3. Teil des Satzes, ein Maggiore, überrascht durch eine Figuralvariation, die von den 1. Violinen in kühnen Triolen über dem begleitenden Orchester aufgebaut wird. Allmählich greifen auch die anderen Streichinstrumente die Triolenbewegung auf, bis der Satz nach einer groß angelegten Steigerung leise in einer mit dem Triolenmotiv verebbenden Coda verklingt.
Menuett und Trio können Haydn als Vorbild nicht verleugnen; einige dynamische Überraschungen lassen aufhorchen. Interessant ist die Instrumentierung des Trio: Über dem Harmoniegefüge der Bläser und dem Pizzicato der tiefen Streicher wölben sich Triolenbögen, von 2 Soloviolinen im Oktavabstand vorgetragen.
Das Finale (Allegro 2/4) wird rondoartig vom Hauptthema beherrscht, das Seitenthema mit seinen »Seufzern« verrät unverkennbar das Vorbild der »Mannheimer Schule«.
Gottfried Stelzer
Carl-Friedrich Schmidt
studierte Trompete bei Prof. Helmut Erb an der Hochschule für Musik in Würzburg.
Bereits vor dem Konzertdiplom führten ihn erste Konzerte als Solist durch Deutschland und Frankreich, wobei ihn seine Vorliebe zur Hohen Trompete schon bald zum gefragten Interpreten der barocken Trompetenliteratur machte.
Seitdem tritt er neben seiner Tätigkeit als Orchester- und Studiomusiker vor allem als Solist namhafter Ensembles im In- und Ausland auf.
Carl-Friedrich Schmidt gab Solokonzerte zum Beispiel mit dem Heidelberger Kammerorchester, dem Südwestdeutschen Kammerorchester und der Württembergischen Philharmonie, bei der er seit 1986 als 1. Solotrompeter engagiert ist. Mit diesen Orchestern spielte er auf Konzertreisen in Europa, USA und Kanada.
1990 führte ihn eine Tournee durch einige Länder Afrikas, aber auch in Deutschland folgten wichtige Auftritte, zum Beispiel bei den Mozart-Festspielen in Würzburg.
Inzwischen umfasst sein Repertoire nicht nur eine Vielzahl von klassischen und barocken Trompetenkonzerten, sondern auch Stücke aus der Romantik und Moderne bis hin zur Unterhaltungsmusik und Avantgarde.