Kammerorchester Herbstkonzert
Die Musik trug dunkle Farben. Mit seinem gut besuchten Herbstkonzert ehrte das Kammerorchester Metzingen Max Reger, dessen Vorläufer und Nachfolger. Solo-Viola: Philipp Hänisch, Orgel: Stephen Blaich; die Leitung hatte Oliver Bensch.
Ein Laien-Streicher-Kammerorchesterkonzert für den Jubilar Max Reger mit dessen Werken – das geht eigentlich nicht, weil dieser (fast) nur Orgelmusik oder Sinfonisches geschaffen hat.
Doch Oliver Bensch und die Seinen wussten sich zu helfen: Sie kombinierten ein Programm aus Tradition und Moderne mit vielfältigen Bezügen zu Reger, das außerdem auf den Totensonntag einstimmte und eine Besetzungs-Rarität bot – drei Werke für Orgel und Streichorchester.
Musik für Orgel und Orchester ist selten zu hören. Nur wenige Konzertsäle besitzen gute Orgeln, und in den Kirchen müsste man, um das Zusammenspiel zu sichern, alle Musiker auf die Orgelempore setzen – ein aufführungspraktisches Problem. Stephen Blaich und Oliver Bensch lösen es mittels einer medialen Fernbeziehung: Das Kammerorchester musiziert vorn am Altar der Martinskirche, eine Kamera überträgt die Bewegung simultan an den Spieltisch der Orgel.
Meditative Stimmung
Allerdings müssen die Stücke auch „passen“. Eng verknüpfte Stimmführung von Orgel und Orchester in schnellem Tempo ist riskant; so die Sinfonia aus der Bach-Kantate „Wir müssen durch viel Trübsal“ (BWV 146), deren virtuoser Orgelpart ursprünglich dem Cembalo zugedacht war, das Zusammenspiel fast ins Schleudern brachte und im Programm die zweite Stelle einnahm.
Der Auftakt hatte in eine meditative Stimmung geführt: Vom Glockengeläut der Kirche in den allmählich gesteigerten, ebenfalls mit Glockentönen überhöhten „Cantus in Memoriam Benjamin Britten“ für zehnstimmiges(!) Streichorchester von Arvo Pärt, sicher und mit konzentrierter Ruhe dargeboten, in seiner Schlichtheit ein Gegenpol zu Reger, doch verwandt in der Verwendung alter Satztechniken.
Der schon genannten Bachschen Sinfonia folgte des Reger-Verehrers Paul Hindemith „Trauermusik für Viola und Streicher“. Auch wenn einzelne Spitzentöne nicht ganz die professionelle Höhe erreichten, gelang eine abgerundete Interpretation, gemeinsam mit dem jungen Bratschisten Philipp Hänisch, der seinem Part sanglichen Ton und ausdrucksvolle Färbungen verlieh.
Dem Kammerorchester selbst war ein freieres und kantableres Spiel als in früheren Jahren zu bescheinigen. Einige Neuzugänge und die kontinuierliche Arbeit mit Oliver Bensch haben das Niveau hörbar gesteigert. Dies kam auch im „Concertino im alten Stil“ für Orgel und Streicher von Karl Hoyer (einem Reger-Schüler) zum Tragen, außerdem dessen orgelgerechter Satz: Das lockere Wechselspiel lässt Raum für Entfaltung, von Stephen Blaich genutzt für vielfarbig registrierte Episoden und beeindruckende Steigerungen.
Wieviele Ansätze zu Neuem die sogenannte Alte Musik enthalten kann, belegte danach Henry Purcells Chaconne g-Moll. Zwar könnten diese noch deutlicher hervorgehoben werden, doch wurde der Tanzcharakter kraftvoll akzentuiert.
Höchste Klangpracht
Beschlossen wurde der Abend mit der „Suite für Orgel und Streicher“ nach den Zwölf Stücken für Orgel op. 59 von Max Reger (Heft 1), arrangiert von dem (anwesenden) jungen Komponisten Dominik Dieterle. Darin war beides zu erleben: Regers spezieller Stil und seine Einbindung in die Tradition, kontrastreich verteilt auf Orchester und Orgel, gekrönt durch die virtuose Toccata und die zu höchster Klangpracht gesteigerte Schlussfuge von Orgel und Orchester – was für ein Raumklang!
Konzert – Max-Reger-Gedenken mit dem Metzinger Kammerorchester in der Martinskirche
Reutlinger General-Anzeiger vom 21.11.2016
Sinn für Klänge und Proportionen
VON MARTIN BERNKLAU
METZINGEN. Die Hommage des Metzinger Kammerorchesters zu Max Regers 100. Todestag war von Dirigent Oliver Bensch so originell wie durchdacht zusammengestellt, wenngleich am Samstagabend in der ganz gut besetzen Martinskirche kein einziges Originalwerk von Reger zu hören war – bis auf eine kleine Ausnahme.
Er ging den entgegengesetzten Weg Max Regers, des in allem Maßlosen: Arvo Pärt, der Este, kam von komplexer Zwölfton-Polyfonie und entwickelte seinen radikal reduzierten Tintinnabuli-Stil, magisch, mystisch und tief religiös wie in seinem Cantus in Memoriam Benjamin Britten, der Totenklage um den britischen Kollegen. Glockenschläge und das Streichorchester mit einer absteigenden Moll-Tonleiter kreisen sorgsam proportioniert um dieses eine A.
Solch sanftes Insistieren entspricht der motorischen Unerbittlichkeit von Bachs Kopfsatz für das Klavierkonzert d-Moll, von dem es auch eine Sinfonia-Fassung für Orgel als Soloinstrument zu einer Kantate gibt (»Wir müssen durch viel Trübsal«). Das Kammerorchester hatte einen guten Zug, während Stephen Blaich an der Orgel noch ein bisschen konzentrierter und präziser hätte sein dürfen.
Er machte das später weitaus besser beim Concertino im alten Stil, das der Reger-Schüler Karl Hoyer insgesamt sehr gefällig komponiert mit hübschen Orgelparts und einem Violinsolo (Beatrice Erhart) versehen hat. Auch die Orgelkadenzen waren höchst hörenswert. Dazwischen gab es eine andere Trauermusik, und zwar die, welche der gelernte Bratscher und Reger-Verehrer Paul Hindemith für Streichorchester und Viola-Solo – Philipp Hänisch mit klarem Ton – im Januar 1936 in höchster Eile auf das Hinscheiden des britischen King George V. komponiert hat, für die BBC. Und zwar mit einer Variation jenes Choralthemas, über dessen Einführung in seine Kunst der Fuge Johann Sebastian Bach starb: »Vor deinen Thron tret ich hiermit«.
Auch Henry Purcells barocke Chaconne in g-Moll hatte Bach- und damit Reger-Bezüge, über die berühmte Violinsolo-Chaconne, den passacaglia- oder trauermarschartigen Schreittanzes, der wiederum als Variationenwerk auf die Orgel und auf Regers Schaffen verweist.
Alle diese Stücke führten auf den großen Schluss hin, zu dem der 1989 geborene (und zum Konzert nach Metzingen gekommene) Dominik Johannes Dieterle sechs Sätze aus Max Regers Zwölf Stücken op. 59 mit großem Gespür für Symmetrien, Proportionen und auch Klänge zu einer Suite für Orgel und Streichorchester arrangiert hat. Nur bei der hochvirtuosen »Toccata« glänzte Stephen Blaich ganz allein in Regers Orgel-Original, die anderen Sätze waren eine spannende Deutung und Neudeutung, die Regers Ton, Stil und Technik doch sehr erhellend beleuchteten und das Kammerorchester zu beeindruckendem Spiel herausforderten.
Ganz großer und langer Beifall war der Dank des Publikums für dieses eindrückliche Reger-Gedenken am Vorabend des Totensonntags. (GEA)