2012 Neujahrskonzert Kritiken

Das Kammerorchester Metzingen scherzt mit Beethoven, tritt in ein geistreiches Gespräch mit Mozart und antwortet mit Ives den einsamen Rufen der Trompete

Aus dem Reutlinger Generalanzeiger vom 31.01.2012

Bange Fragen im Streicherweltall

VON DAGMAR VARADY

METZINGEN. Erwartungsvoll stellt eine vereinzelte Trompete eine Frage in den Raum. Vier Flöten bemühen sich um eine Antwort. Nur ist das Resultat wohl nicht zufriedenstellend, denn die Frage wird sieben Mal wiederholt, während die Antworten immer anders ausfallen: hektisch, ungeduldig, immer heftiger, jedoch unbefriedigend. Und dies alles geschieht über einem sanften und gleichmäßig dahin fließenden Klangkontinuum der Streicher, die ihre behutsamen Harmonien gleichsam schwebend in den Raum stellen.
Mit diesem originellen und zugleich tiefsinnigen Stück von Charles Ives, »The Unanswered Question«, beginnt das Neujahrskonzert des Metzinger Kammerorchesters am Samstagabend in der Metzinger Stadthalle. Hannes Schmeisser – ehemals Konzertmeister der Württembergischen Philharmonie Reutlingen und lange Zeit Leiter des Kammerorchesters Metzingen – übernimmt aufgrund einer Erkrankung des Dirigenten Oliver Bensch die Leitung. Treffend ist die Platzierung der Solisten: Die Trompete (Lothar Walker) ruft aus dem Off, die Flöten (Ulrike Ziegler, Ulla Teutsch, Laura Liebhardt und Simone Scherrmann) sind abseits des von Schmeisser so bezeichneten »Streicherweltalls« postiert.

Melodiöse Mozartwelt

Mit Mozarts »Sinfonia concertante« KV 297b in Es-Dur gelingt ein toller Einstieg in eine völlig andere Welt. Eine melodiöse Angelegenheit, sorglos, luftig, vergnügt. Auch wenn die Urheberschaft nicht ganz geklärt ist, gemahnt das Stück doch an die sangliche Schönheit und spritzige Art von Mozarts Musik.
Die Metzinger Streicher tragen dann auch sicher über kleinere Unebenheiten der Blechbläser hinweg. Vor allem für die vier Solisten des Abends (Roswitha Maier, Oboe, Julian Trieb, Klarinette, Klaus Pietsch, Horn, und Dorothea Stelzer, Fagott) stellt dieses Werk eine ausgezeichnete Gelegenheit dar, als gut abgestimmtes Team aufzutreten.
Es wird charaktervoll und mit leichter Hand musiziert, in ein Gespräch miteinander getreten, sich gegenseitig geantwortet, geneckt oder einander ins Wort gefallen. Besonders in den Variationen des 3. Satzes zeigen die Solisten ihr Können in einfühlsamen, solistisch einwandfreien, oft flotte Passagen. Schmeisser leitet das Orchester hier mit Präzision und lässt den Streichern Raum für die mozartsche Leichtfüßigkeit und Beschwingtheit.

Nach einer Pause wird das Publikum mit Beethovens 1. Sinfonie erfreut. Den ersten Satz lässt Schmeisser in sehr gemäßigtem Tempo auftreten. Die Linien werden arg breit ausgemalt, die kräftigen Stellen werden jedoch durchaus prächtig vorgestellt. Das Feurige liegt hier nicht im Tempo, sondern in der Dynamik. Mit dem 3. Satz kommt Beethovens eigene scherzhafte Tonsprache hervor, wieder breit und weitschweifig interpretiert. Die Bläser haben hier an ihren gravitätischen Harmonien zu tragen. Das Theatralisch-Witzige wird im Finale nochmals gefestigt: neckisch, recht flott und mit kräftigen Schlussakkorden.

Die Meisterstücke der musikalischen Welt wurden vom zahlreich erschienenen Publikum begeistert aufgenommen und entließen die Hörer in einen Abend voller nachklingender Melodien. (GEA)

Nicht ein Gastensemble bestritt diesmal das festliche Neujahrskonzert des Veranstaltungsrings Metzingen, sondern „der“ klassische Klangkörper vor Ort schlechthin: das Kammerorchester Metzingen samt Solisten.

Aus dem Metzinger Volksblatt vom 30.01.2012

Die charmante Idee des Veranstaltungsrings, das heimische Orchester auf die Neujahrskonzert-Bühne zu bitten, stieß auf große Resonanz: Die Stadthalle war voll besetzt. Sie spricht aber auch für den Geist der Zusammenarbeit, der in Metzingen waltet. Auch das Streicher-Kammerorchester selbst hatte Bläser und Solisten unter anderem aus den Musikschulen Metzingen und Nürtingen hinzugezogen. Für den erkrankten Dirigenten Oliver Bensch sprang erfreulicherweise Hannes Schmeisser ein, der langjährige frühere Leiter des Kammerorchesters und ehemalige Konzertmeister der Württembergischen Philharmonie.

Das Programm zeigte einen „klassischen“ Zuschnitt, abgesehen vom Auftaktstück des amerikanischen Wegbereiters Charles Ives, seiner rätselhaften „unbeantworteten Frage“ („The unanswered question“): Die Streicher – als „schweigende Druiden“ – spinnen zarteste Sphärenharmonien, von fern stellt die Solotrompete ihre hartnäckige atonale Frage. Diese beantworten vier abseits stehende Querflöten zunächst gelassen, dann immer erregter, zuletzt schweigen sie. Dieser vieldeutige Dialog wurde klangschön umgesetzt; mehr Schärfe und Selbstbewusstsein bei den solistischen „Fragestellern“, und die Aufführung hätte noch größeren Eindruck gemacht.

Die offene atonale Frage wurde quasi beantwortet durch eine ausgesprochen harmonische Aufführung zweier Meisterwerke der Wiener Klassik: der Sinfonia concertante für Holzbläserquartett und Orchester Es-Dur KV 297b von (vermutlich) Wolfgang Amadeus Mozart sowie Ludwig van Beethovens Sinfonie Nr. 1 C-Dur. Pure Harmonie und Melodienfülle verströmte vor allem das Solistenensemble in der Sinfonia concertante, bestehend aus Roswitha Maier (Oboe), Julian Trieb (Klarinette), Klaus Pietsch (Horn) und Dorothea Stelzer (Fagott); nicht als Solo-Star-Truppe, sondern als einfühlsame Mitspieler, die – bei aller Brillanz – ihren Part behutsam ins Ganze der drei Sätze einfügten, angeführt von den so geschmeidigen wie ausdrucksvollen Soli der Oboe, getragen von tiefem musikalischen Einverständnis. Heiteres Musizier- und Melodien-Glück war hier zu erleben, ermöglicht durch viel Können und Musikalität.
Danach bot das mittels einer vorzüglichen jungen Bläsergruppe auf sinfonische Stärke ausgebaute Kammerorchester einen großen Auftritt mit Beethovens erster Sinfonie. Diese wurde nicht als kompositorischer Umsturzversuch des jungen Beethoven, sondern als würdige Mozart-Nachfolge interpretiert, hell, ausgewogen – „klassisch“. Mit erstaunlicher Akribie meisterten die Laienmusiker die Schwierigkeiten der Partitur, allen vier Sätzen ließen sie liebevolle Sorgfalt im Detail angedeihen. Höchste Disziplin prägte ihr Spiel, präzise und konzentriert dirigiert von Hannes Schmeisser.
Verführen Beethovens lebhafte Aufschwünge andere Orchester gern zum Stürmen und Drängen, richteten Schmeisser und die Seinen ihr Ohr offenbar mehr auf Sauberkeit und Transparenz des Spiels, so dass die Bewegung – gerade im lebhaften Finalsatz – eher akkurates Ebenmaß statt Schwung und Vorwärtsdrang vermittelte.

Deutlich wurde auf jeden Fall, welch solides Niveau das Metzinger Orchester erreicht hat. Ihm nun zu raten, auf die Disziplin zu pfeifen und sich motorisch einen Kick nach vorn zu geben, wäre vielleicht verfrüht. Doch Können und Zusammenspiel der Musiker sind beachtlich und wurden zu Recht mit anhaltendem Beifall gewürdigt.