Konzert – Kammerorchester in der Stadthalle
Der »Fiddler« spielt auf
Reutlinger General-Anzeiger vom 19.10.2010
METZINGEN. Hatten die unbekannten Komponistennamen vielleicht den einen oder anderen abgeschreckt? Voll war die Stadthalle nicht beim Herbstkonzert des Metzinger Kammerorchesters am Sonntag. Schade, denn die Streichertruppe bewährte sich unter ihrem Dirigenten Oliver Bensch als kompakter Klangkörper, der in der Lage ist, mit feinen Abstufungen und aus einem Guss zu gestalten.
Zu Beginn erfreute das Orchester in Mozarts Divertimento B-Dur KV 137 mit atmenden Bögen, schön ausschattierten Laut-Leise-Kontrasten und einem feinen Gesamtklang. Besonders gelungen der temperamentvolle Mittelsatz: spritzig, leichtfüßig, die Spannung prägnant auf die Phrasenhöhepunkte zugespitzt.
Mit das Glanzlicht war das dreisätzige Hornkonzert des Briten Gordon Jacob (1895-1984). Ein Fest, wie Solist Jürgen Merkert die Läufe funkeln ließ, wie leichtfüßig er die Doppelzungen-Passagen in den Saal schickte. Merkert, Mitglied des Leipziger Gewandhaus-Orchesters, ist ja in Bempflingen aufgewachsen ~ ein Heimspiel! Mit am bezauberndsten der langsame Satz, in dem er die Melodielinien zart ins Weite träumen lässt, während die Geigen seinen Ton in ein atmosphärisches Glitzern hüllen.
Fugenkunst im Viererpack
Nach der Pause gab’s etwas arg viel Fugen-Gelehrsamkeit mit vier Bearbeitungen aus Bachs »Kunst der Fuge«. Wohl gelang es den Musikern, den Wechsel von Verdichtung und Entspannung auszuleben. Nur spielten die Geigen, als hätten sie durchweg die Melodie, während die Celli und Bratschen dem zu wenig entgegenstellten. Die Konturen des Stimmengeflechts konnten so nicht wirklich hervortreten.
Pehr Nordgrens Suite »Portraits of Country Fiddlers« blies dann die mit, Bach verfugten Gehörgänge schnell wieder frei. In vier Sätzen, die jeweils Typen ländlicher Geigenmusikanten charakterisieren, setzte das Orchester überschäumende Spiellaune frei. Im zweiten Satz »Der Denker« wurde es dann auch mal nebelverhangen-melancholisch. Aber im Schlusssatz »Des Fiedlers Lieblingsmelodie« brachten die Musiker regelrecht die Saiten zum Glühen. Wechselweise durften die Stimmführer in die Rolle des »Fiddlers« schlüpfen – stellvertretend für viele gelungene Solo-Leistungen sei Konzertmeisterin Katharina Dolmetsch-Heyduck mit ihrem furiosen Zugriff genannt.
Leroy Andersons gut gelaunte Pizzikato-Nummer »Plink, Plank, Plonk« rundete als Zugabe das Programm ab, das reichlich Beifall.erhielt. (akr)
Das Horn ruft, singt und erzählt
Metzingen. Die „Liebhaber und Liebhaberinnen“, wie Oliver Bensch sein Kammerorchester nennt, boten wieder ein tolles Herbstkonzert – mit Gastsolist Jürgen Merkert.
Metzinger Volksblatt vom 19.10.2010
Auch ohne die ursprünglich vorgesehenen „Crisantemi“ von Puccini bot das Programm wieder reichlich Kontraste aus Klassik, Barock und Moderne, Stücke von Mozart und Bach standen neben Gordon Jacobs Hornkonzert von 1951 und Pehr Henrik Nordgrens „Palimannimuotokuvia“ aus dem Jahr 1976.
Musik von Mozart bildete den Auftakt, das Divertimento B-Dur KV 137, eines der auf Vorrat für eine Italientournee komponierten unterhaltsamen, doch gehaltvollen Stücke. Behutsam entfalteten die 32 Musikerinnen und Musiker seidige Streicherfülle und entfachten unter Oliver Benschs temperamentvollem Dirigat im zweiten Satz Feuer und Schwung, der sie in ein effektvoll abgestuftes flottes Finale trug.
Zum Verzicht auf Puccinis Herbstblüten-Stück entschlossen sich die Musiker, als sie für Gordon Jacobs Hornkonzert nicht nur Zeit fürs Einstudieren, sondern zuvor für das Entziffern der schwer lesbaren Partitur aufwenden mussten – doch der Aufwand hat sich gelohnt.
Mit Jürgen Merkert, dem aus Bempflingen stammenden und im Leipziger Gewandhausorchester tätigen Hornisten (wir berichteten), war ein herausragender Künstler zu erleben, der den Solopart von Jacobs Konzertstück auswendig und souverän meisterte. Mit biegsamem Ton ließ er das Horn nicht nur rufen, sondern auch erzählen und singen; den getragenen Adagio-Satz gestaltete er mit unendlichem Atem und verhangenem Ton, der romantische Geheimnisse ahnen ließ, den spritzigen Finalsatz mit virtuoser Präzision, in der ihm die Streicher inspiriert folgten bis zum effektvoll abreißenden Schluss. Großer Jubel für einen seltenen Musikgenuss!
Eine schwierige und reizvolle Aufgabe hatten sich die Streicher mit Bachs „Kunst der Fuge“ gestellt: Vier der „Contrapunctus“ genannten Meister- und Musterstücke aus gleichberechtigten Stimmen wurden nach Art einer Suite neu zusammengefügt und auf eigene Weise adaptiert. Contrapunctus 1 mit dem Grundthema erschien in klassischem Ebenmaß, zart und wie frei schwebend; deutlicher akzentuiert und lebhaft das Gegenstück Contrapunctus 4, fast wie ein Ersatz für Puccinis Trauer-Chrysanthemen Contrapunctus 3, dessen schmerzlicher Charakter durch breites Zeitmaß und ausdrucksvolle Tongebung gesteigert wurde. Wie ein klassischer Allegro-Satz erschien der an vierter Stelle platzierte Contrapunctus 9, bei dem die Nebenstimmen etwas in den Schatten der ersten Violinen gerieten. Insgesamt ein spannendes Experiment, bei dessen Einstudierung die Musiker selbst sicher viel gewonnen haben.
Spannungsreich, ja zweischneidig sind Pehr Henrik Nordgrens „Pelimannimuotokuvia“ (etwa: Spielmanns-Bilder) nach bottnischen Volksweisen: schlicht und archaisch im Ausgangsmaterial, komplex in der kompositorischen Verarbeitung, die einige Ecken und Kanten bereithält. Um die besonderen, meist dissonanten Strukturen und Effekte herauszuarbeiten, braucht es Profi-Musiker. Die Metzinger Kammermusiker gaben ihr Bestes und musizierten die umgearbeiteten Folklore-Melodien mit aller gebotenen Sorgfalt, ließen die Fiedeln grummeln, schnarren, tremolieren, doch ihre spielerische Leichtigkeit kam nicht in des „Fiedlers Lieblingsmelodie“, sondern so richtig erst wieder in der Zugabe zum Tragen: in Leroy Andersons „Plink plank plunk“, gefolgt von herzlichem Beifall für ein gelungenes Herbstkonzert.