2006 Herbstkonzert

29. Herbstkonzert

am 11.11.2006 in der Stadthalle Metzingen

Karl Stamitz (1746 – 1801) Orchesterquartett C – Dur
Allegro assai – Andante di molto – Poco presto
Edvard Grieg (1843 – 1907) Zwei Elegische Melodien
Herzwunden – Letzter Frühling
Einojuhani Rautavaara (geb. 1928) Ballade für Harfe und Streicher
Solistin: Lucia Cericola
Benjamin Britten (1913 – 1976) Simple Symphony für Streicher
Boisterous Bourrée – Playfull Pizzicato – Sentimental Saraband – Frolicsome Finale
Claude Debussy (1862 – 1918) Danse für Harfe und Streicher
Danse sacrée – Danse profane
Solistin: Lucia Cericola
Leitung:  Oliver Bensch

Das Programm des 29. Herbstkonzerts stellt die Vielfältigkeit des Streicherklangs in den Mittelpunkt.

Das Orchesterquartett in C-Dur für Streichorchester von Karl Stamitz (1746 – 1801), der selbst Geige und Bratsche spielte, ist ein Beispiel des damals brandaktuellen Orchesterklangs. Seine Merkmale waren krasse dynamische Wechsel, lange Crescendi („Mannheimer Walzen“) und hochfahrenden Dreiklangsfiguren („Mannheimer Raketen“). In dieser springlebendigen und harmonisch schlichten Musik ist der klanglich einheitliche, mehrstimmige Geist der Barockmusik überwunden. Hier soll nicht mit geistvollen kontrapunktischen Kapriolen geglänzt, sondern der Hörer mit klanglichen Überraschungen und eingängigen Melodiefloskeln unterhalten und erfreut werden.

Karl Stamitz gilt als einer der „Erfinder“ eben dieses Sounds, machte damit seine Mannheimer Hofkapelle berühmt und beeinflusste so nachhaltig die Kompositionen für Orchester berühmter Meister wie Mozart.

Mit den Elegischen Melodien op. 34 für Streichorchester  des norwegischen Komponisten Edvard Grieg (1843 – 1907) eröffnet sich eine ganz andere klangliche Welt. Wir befinden uns im Zeitalter der Hochromantik, wo es darum geht, intensive und subjektive Gefühlsregungen in Klang umzusetzen. Den beiden elegischen Melodien liegen ursprünglich zwei eigene Lieder Griegs mit den Titeln „Herzwunden“ und „Letzter Frühling“ zu Grunde. 1881 fertigte er die Bearbeitung für Streichorchester an und hielt sie selbst für so gelungen, dass er sie, wann immer möglich, aufs Programm setzte. Der Partitur merkt man diese Liebe an. In ihr ist jedes Detail bis zur Strichrichtung genau festgehalten. Der hochromantische Streicherklang, der durch eine minutiöse Aufgliederung der Stimmen seine unverwechselbare Farbigkeit entwickelt und durch seine typisch chromatisch-nordische Harmonik schimmert und leuchtet, mag heute noch in seinem ehrlichen Gefühl zu rühren.

In der Ballade für Harfe und Streicher des finnischen Komponisten Einojuhani Rautavaara (geb. 1928) wird das Klangspektrum durch die Soloharfe erweitert. Rautavaara zählt zu den bedeutendsten international bekannten Komponisten der Gegenwart. Er begann 1952 seinen Weg als Komponist, beeinflusst von ostbottnischer Folklore. Er durchlebte die verschiedensten avantgardistischen Strömungen seiner Zeit und  gelangte schließlich zu einer Kompositionsweise, die modernistische und traditionelle Momente miteinander verknüpft.  In der Komposition von 1981 erwartet den Zuhörer Neues und Unbekanntes. Er selbst beschreibt es so:

„Die Ballade für Harfe und Streicher kann durchaus als archaische Erzählung interpretiert werden, gesungen und gespielt von einem romantischen Barden; allerdings handelt es sich hier um Instrumentalmusik.

Der Eindruck beim Hörer, er verfolge eine archaische Erzählung, entsteht hauptsächlich zu Beginn, wenn die weitläufige Melodie einer Harfe erklingt. Bald kommt es in der Erzählung jedoch zu einer Wende; es beginnt ein unruhiger Abschnitt, in dem sich die Streicher mittels Glissandi- Bewegungen zu diversen Clustern verdichten, während die unruhige Harfe Bilder malt. Auf diesem Abschnitt folgt ein Dialog zwischen Harfe und Streichern, die Erzählung scheint noch dramatischer zu werden – Pianissimo und Fortissimo wechseln sich schroff ab, bis im Epilog kompakte Streicherakkorde die Wogen glätten. Als Musik ist diese Ballade typisch für ein motivisches Entwickeln und Variieren. Symmetrische Formationen, die meine Musik kennzeichnen, treten hier häufig sowohl in den Harmonien der Streicher als auch in den melodischen Bewegungen der Harfe auf. Oft stehen sich einzelne Abschnitte schroff gegenüber, was eine gewisse epische Wildheit bewirkt.“

Als weiteres Werk aus dem 20 Jahrhundert erklingt die Simple Symphony op.4 des britischen Komponisten Benjamin Britten (1913 – 1976). In den Jahren1933/34 entstanden, liegen ihr Melodien aus frühen Klavierwerken Brittens zu Grunde. Die Bezeichnung „simple“ meint hier wohl weniger einfach als vielmehr eindeutig. So wartet der erste Satz (Boisterous Bourée) ganz en passant mit kunstvollen kontrapunktischen Stimmführungen (Fugato) auf und wirkt dabei trotzdem unmittelbar musikantisch. Der zweite Satz (Playfull Pizzicato) wird durch den gezupften Klang und seiner heiteren folkloristischen Melodik bestimmt. Das musikalische Zentrum der Simple Symphony bildet die Sentimental Saraband. Ihr liegt der barocke Sarabanden-Rhythmus zugrunde, dieser wird aber von den großen klanglichen und emotionalen Entwicklungen überlagert und im romantischen Sinn umgedeutet. Im fröhlichem Kehraus des 4. Satz (Frolicsome Finale) wartet Britten noch einmal mit kanonisch-kontrapunktischen Spielereien und virtuosen Steigerungen auf.

Mit den Danses sacrée e profane für Harfe und Streicher von Claude Debussy (1862 – 1918) sind impressionistische Klänge zu hören. Die Harfe ist mit ihrer unwirklichen und pastellfarbenen Klangfarbenpalette ein bevorzugtes Instrument dieser Epoche. Claude Debussy schrieb sie 1903 als Wettbewerbsstück für das Brüsseler Konservatorium. Die Komposition war für die Chromatische Harfe bestimmt. Dieses Instrument war entwickelt worden, um die häufigen Pedalwechsel zu vermeiden, den die zunehmende Chromatisierung der Musik erforderlich gemacht hatte. Heute wird das Werk aber gewöhnlich auf der Pedalharfe gespielt. Der erste Tanz erinnert in seiner Melodie entfernt an einen Choral, der durch die „klangliche Luft“ weht (vielleicht deswegen „sacrée“). Der zweite lebt von einem angedeuteten und durchbrochenen Walzerthema (vielleicht deswegen „profane“). Jedenfalls ist diese Musik nicht eindeutig und beschwört luftige musikalische Bilder in wechselnden Lichtstimmungen.

Lucia Cericola

Lucia Cericola, die Solistin der Harfenkonzerte, wurde in Mailand geboren. Ihr Harfenstudium begann sie im Alter von zehn Jahren am Conservatorio di Musica Giuseppe Verdi in  Mailand. Dort studierte sie auch Komposition und schloss 1979 ihr Studium ab. Am Conservatoire in Genf absolvierte sie ein Aufbaustudium.
Seit 1985 lebt sie in Deutschland, ist in Stuttgart als Pädagogin tätig und spielt in vielen Orchestern, unter anderem beim Radiosinfonieorchester Stuttgart und dem Stuttgarter Kammerorchester. Solistisch und kammermusikalisch tätig ist sie zudem in Italien, Frankreich, Belgien, Luxemburg, Polen, Griechenland, Österreich und in der Schweiz.
Lucia Cericola steht der Musik unserer Zeit sehr aufgeschlossen gegenüber. So wurden mit ihr zahlreiche Werke zeitgenössischer Komponisten uraufgeführt.