Barock mit Krimiflair
Reutlinger General-Anzeiger vom 15.11.2005
Konzert – Gitarre, Bajan und das Kammerorchester
von Armin Knauer
METZINGEN. Konzertprogramme von Gereon Müller sind immer ein Abenteuer. Und so kam einiges zu auf die Hörer beim Herbstkonzert des Metzinger Kammerorchesters am Samstagabend in der Neuen Aula des Bonhoeffer-Gymnasiums. Sie wurden musikalisch in eine barocke Hofgesellschaft zurückversetzt, erlebten Krimi-Flair vor historischer Kulisse und wurden am Ende in einen wahren Tango-Taumel gewirbelt.
In reiner Streicherbesetzung traten die Metzinger an, am ersten Geigenpult durch Michael Schwarz von der Württembergischen Philharmonie verstärkt, der kurzfristig für den erkrankten Herbert Wallner eingesprungen war. Wallner war zwar dann doch mit dabei, aber Schwarz‘ Einsatz lohnte sich – er setzte Impulse und riss seine Mitspieler mit.
Den Auftakt machte eine Chaconne von Henry Purcell, die tänzerischen Geist in einen Hauch von Schwermut hüllte. Von Dirigent Müller aufmerksam geführt, entwickelte das Laienorchester aus leiser Grundstimmung heraus den Klang, zog Bögen, setzte Akzente. Doch genug der Melancholie, schon vertrieb Vivaldis Gitarrenkonzert mit sprudelndem Figurenwerk die Wolken, von Solist Johannes Monno filigran und präzise gezupft – recht ähnlich der Laute, die im Original vorgesehen ist. Ganz sanglich klang die Gitarre im langsamen Mittelsatz, und das Wechselspiel zwischen Solist und Orchester klappte vorbildlich.
Nach dem barocken Original dann die Rückschau: Filmmusikkomponist Karl Jenkins greift in »Palladio« Vivaldis Klangflächen auf und puscht sie mit Jazz-Akzenten und Rockbässen voran. Die federnde Eleganz des Barock scheint aus der Ferne durch, im Vordergrund macht sich taffe Krimi-Atmosphäre breit. Mit Biss kämpfte sich das Orchester durch die kantige Partitur — und setzte einen coolen »Rock-Vivaldi« in Szene. –
In Purcells Suite aus »Dido und Aeneas« durfte dann wieder Gefühl gezeigt werden. Mit einer herrlich todtraurigen Elegie in den Ohren schickten die Streicher die Hörer zum Sekt. (Auch das kann nur einem Gereon Müller einfallen!)
Dem Orchester gewidmet
Halbzeit zwei begann mit heftigem Understatement. Nur versteckt im Programmheft wurde angedeutet, dass Andreas Tarkmanns »Lost Paradise« eine veritable Uraufführung war – und dass der in Stuttgart lebende Komponist das Stück dem Orchester gewidmet hat. Unbewusst der historischen Stunde erlebten die Hörer ein Stück, das aus tastendem Beginn einen samtig warmen Streicherton aufblühen ließ, auch wenn die trockene Akustik dabei etwas störte.
Nun kam Bajan-Experte Andrej Moulin ins Spiel, und zwar in einer von Gereon Müller erstellten Bearbeitung von Eric Saties Klavierstück »Gymnopédie Nr. 1«. Extrem langsam nahm der in Deutschland lebende Moskauer Saties Ohrwurm auf dem russischen Knopfakkordeon -und verlor doch keine Sekunde den Spannungsbogen.
Zum Schluss wurde es dann richtig leidenschaftlich. In Astor Piazzollas Doppelkonzert überboten sich Gitarrist Monno und Bajanist Moulin mit der Intensität ihrer Soli, und auch das Orchester ließ die Funken sprühen. Ein Fest für die Ohren – von den Zuhörern mit rauschendem Beifall quittiert. (GEA)
MUSIK / Herbstkonzert im Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium
Metzinger Volksblatt vom 14.11.2005
Sehnsucht nach dem verlorenen Glück
von Susanne Eckstein
Das Kammerorchester Metzingen spielt Barock bis Tango – Gereon Müller dirigiert
Alte trifft neue, Barockmusik trifft Tango: Diese spannende Begegnung fand begeisterte Zuhörer beim Herbstkonzert des Kammerorchesters Metzingen.
METZINGEN – Orchesterleiter Gereon Müller und seine Mitstreiter zeigten wieder Entdeckerfreude und Sinn für ungewöhnliche Werk-Kombinationen.
Originale Barockmusik von Purcell und Vivaldi umrahmte neo-barock Komponiertes des Ex-Jazz-Rockers Karl Jenkins, Erik Satie wurde kombiniert mit Neuem von Andreas Tarkmann und Astor Piazzolla.
Dabei wurde mit Feingefühl verfahren – für die Stimmungsvaleurs der ausgewählte Stücke: Gemeinsam war ihnen eine herbstlich-melancholische Grundfärbung. So draufgängerisch-innovativ die Metzinger sich in ihrer Werkauswahl gaben, so behutsam näherten sie sich den Stücken, im durchsichtigen Ansatz unterstützt durch die intim-trockene Raumakustik der Aula.
Unterstützung fanden die Streicher auch in Philharmonie-Geiger Michael Schwarz, der als Konzertmeister mitwirkte. War zwar die Klangbalance zu Laste der tiefen Streicher verschoben, erhielt die Violinsektion doch eine virtuos inspirierende Verstärkung.
Filigranes Saitenspiel
Barockes und Neo-Barockes reizte im ersten Programmteil zum Vergleich. Mit gewohnter Sorgfalt zogen die Streicher die Linien in Purcells „Chaconne“, der Ouvertüre und der Klage der verlassenen Dido aus „Dido und Aeneas“ nach und breiteten dem filigranen Saitenspiel des Gitarristen Johannes Monno in Vivaldis Lautenkonzert einen seidenen Klangteppich aus.
Wach verfolgten sie den Unterschied zwischen ausdrucksvoll sprechender „echter“ Barockmusik und der nach barocken Mustern neu komponierten, starren Maschinenmusik von Karl Jenkins – dessen „Palladio“ ist die Musik aus der Diamanten-TV-Werbung, deren betont kristallinen Härte und teils minimalistischen Struktur das Orchester menschlich-gefühlvolle Nuancen abtrotzte.
„Lost Paradise“, verflossenes Paradiese, verlorenes Glück – das Motto „Sehnsucht“ kam im zweiten Teil noch deutlicher zum Tragen. Ein melancholisches Traumpaar bildete hier die Kombination Tarkmann-Satie: Andreas Tarkmanns traditionell tonale, schwerelos schwebende Streicher-Lineaturen passten vorzüglich zu der romantischen Deutung von Saties „Gymnopédie Nr. 1“, deren Melodiestimme von Andrej Moulin auf dem Akkordeon vorgetragen wurde, dem für einsames Sehnen geradezu prädestinierten Instrument.
Hatte das Kammerorchester die vorigen Stücke eher vorsichtig von außen befühlt, war es mit Piazzolla offenbar spontan ein Herz und eine Seele. Man staunte: mit geschärftem Rhythmusgefühl und intensivem Tango-Feeling gingen die Musiker geradezu auf in Astor Piazzollas Doppelkonzert für Gitarre und Bandonéon.
Rhythmusgefühl
Sie hatten den präzis-unregelmäßigen Swing von Milonga und Tango direkt im Gefühl und bildeten einen orchestralen Gegenpart für die Solisten Johannes Monno (Gitarre) und Andrej Moulin (Bajan).
Diese blieben Piazzollas jazzinspiriertem Tangostil mit improvisatorischem Spiel in nichts schuldig, man vergaß fast, dass man im Konzert saß, so sehr konnte einen die souverän, träumerisch und kämpferisch vorgetragenen Tristesse mitreißen, die Präzision und Schärfe der Tango-Nuevo-Rhythmen, die Sensibilität in rauer Tongebung und virtuosem Zusammenspiel. Das hörte man gern ein zweites Mal.