Die Schönheit im Tragischen
Reutlinger General-Anzeiger vom 25.11.2003
Das Metzinger Kammerorchester machte sich stark für selten gespielte Werke des 20. Jahrhunderts
von Armin Knauer
METZINGEN. Eine feierlich-voradventliche Stimmung verbreitete sich am Samstagabend in der Metzinger Stadthalle, als das Kammerorchester sein anspruchsvolles Programm vortrug. Und als die Sache zwischendurch gar zu feierlich-ernst zu werden drohte, war einmal mehr Mozart rettend zur Stelle.
Zum Einstieg gab’s Haydns komplette Symphonie Nr. 42 in D-Dur, ganz typisch für den Komponisten in ihrer Mischung aus heiterer Eleganz und symphonischem Ernst. Eine Mischung, die die Musiker prägnant herauszuarbeiten wussten, wobei das engagierte Dirigat Gereon Müllers stets die nötige Orientierung gewährleistete. Insgesamt wurde es ein sehr kultivierter, sehr fein gewebter Haydn. Manchmal fast zu zurückhaltend – so ging in den leisen Passagen zuweilen die Kontur etwas verloren, und die Holzbläser hätten sich ruhig etwas mehr aus der Deckung trauen dürfen.
Klingender Hochland-Nebel
Andererseits bereitete der zart gespielte Haydn sehr schön den Boden für die in den 1930er Jahren entstandene Tenorkantate »dies natalis« (»Tag der Geburt«) von Gerald Finzi. Anhand von Texten des englischen Barockdichters Thomas Traherne beschreibt der Brite Finzi das Staunen eines Kindes, das seine Welt entdeckt. Hier waren nur die Streicher am Werk, und sie schufen einen weich fließenden Klangstrom in eigentümlich zwischen Dur und Moll schwebenden Harmonien. Ein Klangstrom, in dem Erinnerungen an alte Sakralmusik mitschwangen, aber auch etwas schottische Highland-Atmosphäre. Wenn man so wollte, symbolisierten die fließenden Streicherharmomen den Strom des Lebens, aus dem sich das Individuum in Gestalt der Tenorstimme löst. Hell und rein strahlte die Stimme von Johannes Kaleschke. Mit ungekünstelter Klarheit brachte der Sänger den Moment zum Klingen, in dem das Individuum die Welt als Geschenk begreift. Ein Geschenk war diese Kantate nicht zuletzt für die Zuhörer, angesichts eines glänzenden Solisten und eines Orchesters, das sicher durch den klingenden Hochlandnebel Gerald Finzis manövrierte.
Abgründe der Chromatik
Hatte Finzis Musik in eine geradezu ekstatische Lebensbejahung geführt, so ging es mit zwei Sätzen aus der »musica adventus« des Letten Peteris Vasks genau in die andere Richtung: Leise, brüchige Haltetöne, gedämpfte Tonwiederholungen und engräumige, chromatische Harmonik schufen ein zunehmend beklemmender werdendes Klangbild.
Wie eine Befreiung wirkte da Mozarts »Sinfonia concertante« für Violine und Viola in Es-Dur. Und wie befreit nach soviel mühsamer Chromatik spielte auch das Orchester auf: Die Streicher packten herzhaft zu, die Hörner steuerten leuchtkräftige Einwürfe bei, und sogar die Holzbläser trauten sich nun zu zeigen, was sie konnten. (Und sie konnten was!)
Nicht zuletzt sorgten die beiden Solisten Mathias Neundorf an der Violine und Oliver Bensch an der Viola für ein beeindruckendes Musikerlebnis. Gut aufeinander abgestimmt, mit brillantem Ton und geläufiger Fingertechnik verpassten sie den schnellen Ecksätzen den nötigen Schuss Theaterblut. Und im Andante loteten sie die ganze Tiefe einer Musik aus, die auch im Tragischen noch Schönheit findet. (GEA)