Tanz der Musen
Reutlinger General-Anzeiger vom 18.11.2002
Jubiläumskonzert des Kammerorchesters Metzingen
Das 25. Konzert seit seinem Bestehen war vom Kammerorchester Metzingen ausersehen, entgegen aller Tradition am Beginn des Abends getanzte Musik zu bringen, und zwar das anspruchsvolle Ballett in zwei Aufzügen »Apollon musagète« von Igor Strawinsky. Dafür hatte das Orchester das JugendTanzTheater (JTT) Stuttgart/Reutlingen engagiert, das von der Tänzerin und Choreografin Renate Mach geleitet wird.
Strawinsky hatte für sein Ballett Apollon, den Gott, der die Musen ihre Künste lehrt, ausgewählt, ihm zur Seite drei seiner Musen, nämlich Kalliope, Polyhymnia und Terpsichore. Die Protagonisten wurden mit feiner Einfühlung und glänzender Beherrschung der musikalisch inspirierten Bewegungen getanzt von Anne Kimmerle, Oktavia Vöhringer, Verena Koch und Judith Vöhringer. Renate Mach hielt sich in ihrer Choreografie durchaus an die Vorgaben Strawinskys, nämlich an die tänzerische Ausdeutung seiner reizvollen, oft auch spröden Musik, vor allem ihrer Melodik. Inhaltlich löste sie sich allerdings vom griechischen Vorbild und übertrug das Sujet auf Lebensgefühl und Lebenswillen von vier jungen Frauen, was sehr überzeugte. Die Solotänze, Pas de deux und Pas d’action gelangen vortrefflich, waren fein aufeinander abgestimmt, brachten auch durch die bemerkenswerte Inszenierung formvollendete Tanzkunst.
Das Kammerorchester Metzingen nahm sich unter der Führung Gereon Müllers der Partitur des Balletts mit Sorgfalt an, konnte die nicht eben leichte Kost der Musik Strawinskys in allen Stimmen ausgewogen zum Klingen bringen, Besondere Anerkennung verdient das sehr schön gespielte Violinsolo des Konzertmeisters.
Nunmehr vom Saal auf die Bühne platziert brachte das Orchester das sechsstimmige Ricercar aus Bachs »Musikalischem Opfer«. Dem jungen Orchesterleiter Gereon Müller gelang sehr wohl, die unerhörte kontrapunktische Kunst Bachs klangschön in aller Transparenz aufzuzeigen und das von Friedrich dem Großen dem Meister gegebene »Thema regium« in den einzelnen Registern aufklingen zu lassen.
Mit Mozarts »Prager« Sinfonie D-Dur KV 504 hatte sich Gereon Müller mit dem Kammerorchester Metzingen ein Meisterwerk der Weltliteratur vorgenommen. Das Werk wurde Anfang 1787 in Prag unter großem Beifall uraufgeführt. Mozart hatte mit dieser Komposition die volle Meisterschaft seines sinfonischen Schaffens erreicht. Dass man sich dessen auch bei der Darstellung durch das Kammerorchester Metzingen bewusst war, wurde mit Genugtuung konstatiert. Feierlich erklangen die Akkorde und Kantilenen wohlklingender Streicher der langsamen Einleitung zum stimmungsmäßig zwiespältigen, unruhigen Allegro, das in dem strahlenden Signalmotiv der Trompete gipfelt. Ruhig fließend, schwankend zwischen Dur und Moll und mit gegensätzlicher Thematik das Andante, dem ein erregendes Presto-Finale folgt. Dessen virtuose Figurationen wurden von den Streichern bemerkenswert präzise gemeistert. Den ausgezeichnet besetzten Bläsern gebührt eine Sonderlob.
Nach allen Werken des Abends gab es in der Stadthalle wohlverdienten, herzlichen Beifall und Blumen.
Eberhard Stiefel
Riskante Klänge – getanzte Konflikte
Metzinger-Uracher Volksblatt vom 18.11.2002
Bach, Mozart, Strawinsky: Gereon Müller leitet das 25. Herbstkonzert des Kammerorchesters
Fast ein Profi-Programm: Das Kammerorchester Metzingen bot Bach, Mozart und Strawinsky. Wacker, beachtlich, teils gar feurig gespielt. Zum Apollon” gab’s eine eigenwillige Choreographie des ”JugendTanzTheaters”.
OTTO PAUL BURKHARDT
METZINGEN: Es war, typisch Kammerorchester, wieder eine äußerst gewagte Programmauswahl – etwas Besonderes, gerade richtig zum besonderen Anlass, dem 25. Herbstkonzert. Strawinskys ”Apollon musagète” gleich zu Beginn: Da dauerte es ein bisschen, bis das Metzinger Kammerorchester erste (verständliche) Unsicherheiten hinter sich gebracht hatte. Aber dann ent- wickelten die tapferen Laienmusiker unter dem akzentuierten und detailgenauen Dirigat von Gereon Müller einen durchaus respektablen Strawinsky-Sound: Prunkende Klangfülle in den komplexen Akkordschichtungen am Schluss der ”Naissance d’Apollon”, tänzerische Grazie in den Terz-Girlanden der Polyhymnia-Variation.
Tonschärfe und metrische Genauigkeit sind bei Liebhaber-Ensembles meist das Problem – das Kammerorchester Metzingen hatte gerade an diesen Punkten unter Gereon Müller intensiv gearbeitet und demonstrierte ein vergleichsweise beachtliches Niveau. Das Ensemble bot so in den besten Phasen einen solide ausgehorchten Weichzeichner-Klang, der im ”Pas de deux” so- gar mit inspirierter Anmut glänzte.
Renate Mach, die Leiterin des ”JugendTanzTheaters” (JTT), hatte zu Strawinskys ”Apollon musagète” eine eigenwillige Choreographie geschrieben. Vier JTT-Solistinnen (Anne Kimmerle, Verena Koch, Oktavia Vöhringer, Judith Vöhringer) erzählen weniger den griechischen Mythos, sondern eine etwas andere, heutige Geschichte – vom Erwachsenwerden junger Frauen, von Rollenzuweisungen und Schwierigkeiten der Selbstfindung. Das Quartett zeigt originelles Tanztheater; Da gibt es erste Gehversuche ohne Schuhe – sozusagen das tänzerisch variierte ”Auf-eigenen-Füßen-Stehen-Lernen”, aber auch kunstvolle Sequenzen aus dem klassischen Ballett, etwa Arabesques oder Battement-Sprünge. Nach etlichen Konflikten – etwa, wenn die Musen dem verdutzten Apollon die kalte Schulter zeigen – schreitet das Quartett zur ”Apotheose” vor regenbogenfarbner Kulisse auf geheimnisvolle Weise geläutert von dannen – mutig-selbstbewusst ins Leben hinein.
Um sensibel stützende Holzbläser erweitert, klang Bachs Ricercar a 6 (”Musikalisches Opfer”) alles andere als schwerfällig-pathetisch, sondern gelöst fließend – wie Musik der Ewigkeit, ohne Anfang, ohne Ende. Vollends Mozarts ”Prager” Sinfonie: Mit Gereon Müller entfaltete das Kammerorchester, professionell ergänzt mit Pauken, Hörnern und Trompeten, festliche Klangpracht: das Andante mit viel sangseliger Grazie, das Kehraus-Finale mit viel Elan und Spielfreude.