2001 Herbstkonzert Kritiken

Besuch im hohen Norden

Reutlinger General-Anzeiger vom 17.11.2001

Herbstkonzert des Metzinger Kammerorchesters

Das Kammerorchester Metzingen hat beachtlichen Rang und in seinem  24. Herbstkonzert am Samstagabend bot es ein  interessantes Programm. Die Voraussetzungen für einen  erlebnisreichen Abend waren gegeben. Woran lag es also, dass in der Metzinger  Stadthalle so große Lücken klafften?
Das Motto des Konzerts hieß  »Grenzen überwinden«. Diese Musik-Funktion ist trivial-Weisheit.  Mit der Vortragsfolge sollten Grenzen zwischen Völkern, Zeiten und Formen  fallen Das traf nur bedingt zu, denn die aufgeführten Werke aus Skandinavien  und Tschechien zeichneten sich durch eine ziemlich gemeinsam eher spätromantisch-impressionistische  Musiksprache aus. Da war keine Verständnishürde oder Grenze. Zudem  gehören drei der vertretenen fünf Komponisten der Klassiker-Liste  an. So war der große Applaus Beweis für einen vom Publikum sehr  genossenen problemlosen Musikabend. Das unter Leitung von Gereon Müller  (Stuttgart) stehende Orchester eröffnete die Vortragsfolge mit der »Idyll«-Streicher-Suite 1878 des Tschechen Leos Janacek, in feiner Abstufung mit Empfindungskraft gespielt. Schon hier fiel Pizzikato-Präzision auf. Zwei reizvolle Streicher-Miniaturen stamrnten von Jean Sibelius: Impromptu opus 5/ 5 und Romanze opus 42. Beide Stücke hatten Atmosphäre.
Höhepunkt vor der Pause war das Konzert für Saxophon und Streichorchester 1934 von Lars-Erik Vilner Larsson, einem der wichtigsten schwedischen Komponisten des 20. Jahrhunderts. Das dreisätzige Werk wurde zum Farbtupfer des Abends. Die Dettingerin Tanja Heinkel interpretierte den Saxophon-Part mit Brillanz und Empfindsamkeit, ihre Kadenzen waren von Raffinesse. Das Streichorchester schwelgte in Stimmung und Klangreiz.
Der zweite Programrnteil wurde mit einem populären Werk des Norwegers Edvard Grieg eingeleitet, der Streicher-Suite »Aus Holbergs Zeit« opus 40. Mit seiner Interpretation dieser Festmusik zum 200. Geburtstag des nordischen Lustspieldichters Ludwig Holberg (1684 – 1754) vermied Müller Barock-Steife, bot Gefühlstiefe. Schön von den ersten Geigen ausgesungen der rnelodiöse Air-Satz.
Zum Schluss, vom Kammerorchester mit Leidenschaft rnusiziert, der Trauermarsch 1981 des finnischen Gegenwarts-Komponisten Aulis Sallinen. Auch hier bestach exaktes Pizzikato. Müller hatte die Hoffnungsschimmer dieser farbigen Klage effektvoll herausgearbeitet, würdiger Trostbeitrag zum sonntäglichen Volkstrauertag.
In surnma: Wer sich diesen Abend versagte, hat sich um ein Konzerterlebnis gebracht.

G. W Kuntze

Im Adagio ein magischer Moment

Südwestpresse, Ermstalbote vom 20.11.2001

Das Kammerorchester Metzingen bietet unter Gereon Müller ein ehrgeiziges Programm

Vorwiegend Moderne: Das Kammerorchester Metzingen präsentierte beim Herbstkonzert in der Stadthalle eine mutige Programmauswahl. Tapfer, respektabel und in den besten Momenten fulminant musiziert.

OTTO PAUL BURKHARDT

METZINGEN: Neben Grieg, Janacek und Sibelius hatte Dirigent Gereon Müller skandinavische Moderne ins Programm gerückt – den Schweden Lars-Erik Larsson und den Finnen Aulis Sallinen: Eine besonders für Laienensembles couragierte Auswahl, die so manchem Profiorchester gut anstehen würde. Müller, der als Nachfolger des früheren Philharmonie-Konzertmeisters Hannes Schmeisser nun im dritten Jahr am Pult des Kammerorchesters steht, weiß sehr wohl, dass die Schwachpunkte von Liebhaberensembles besonders in punkto Intonation und rhythmischer Präzision angesiedelt sind. Und es war – trotz diverser Unschärfen – durchaus hörbar, wie just in diesen Bereichen denn auch viel gearbeitet und sorgfältig gefeilt worden ist. So entwickelte das Kammerorchester in Janaceks ”Idyll” (1878) stellenweise einen breiten, opulenten, leidenschaftlichen Streicherklang: das Adagio schön sphärisch gewagnert, das Scherzo mit zupackend tänzerischem Charme. Dann – nach einem surreal ausgeleuchteten Sibelius-Impromptu (1894) – kam gleich einer der Höhe- punkte des Abends: Das Saxophonkonzert (1934) des Schweden Lars-Erik Larsson, dessen Musiksprache in etwa zwischen Berg, Hindemith und Milhaud zu orten ist. Die in Freiburg und Dortmund ausgebildete Saxophonistin Tanja Heinkel (geboren in Bad Urach, aufgewachsen in Dettingen) kann komplexe Läufe quirlig-präzise perlen lassen und ebenso gut aber auch in soften Kantilenen schwelgen. Und Gereon Müller lässt sein Kammerorchester recht tapfer und in zügigen Tempi assistieren. Im ”Scherzando” zeigte man gar Humor à la Jean Françaix, derweil die Solistin unter anderem mit perkussiv gestoßenen Tönen brillierte. Vorher im Adagio aber entfaltete das Streichensemble ein gewaltiges Crescendo, entwickelte aus einem zarten, instrumentalen Duett eine fulminante Jubel-Hymne im Tutti: Ein von Müller dramaturgisch klug inszeniertes, vom Kammerorchester in glühender Intensität entfesseltes Klangwunder. So ein magischer Moment lässt einen vernachlässigbare Mängel wie mulmige Einsätze oder wattige Konturen gern vergessen: Denn solche Ausnahme-Augenblicke resultieren aus beherztem Spiel und sind daher in der cool gelackten Routine mancher Profiorchester selten.

Feinsinniges Pianissimo

Dennoch war spürbar, dass das Kammerorchester sich besonders vital in Werken wie Griegs Holberg-Suite (1884) verwirklichen kann – was das kipplige Verhältnis von Können und Wollen angeht. Das andächtig musizierende Ensemble überzeugte mit innigem Espressivo und feinsinnigem Pianissimo wenn’s sein muss, auch mit packendem und süffigem Romantik-Sound. Und nach Sibelius’ melancholisch eingefärbter Romanze (1904) war es den Versuch wert, sich an einem Werk der gemäßigten Moderne heranzuwagen: Aspektej Peltoniemen Hintrikin Surumarsista” (1969/81) – ein Opus, in dem der 1935 geborene Finne Aulis Sallinen eine in seiner Heimat allgemein bekannten Trauermarsch Volksmelodie mit modernen Kompositionsmethoden variiert. Auch hier schlug sich das Orchester unter Müllers entschlossener und klar akzentuierender Stabführung wacker, bewältigte bitonale Schrägen, raffinierte Pizzikato-Stellen, herbe Reibungen und harsche Cluster à la Ligeti in beachtlicher Manier, nicht zu vergessen ein exzellentes Flageolett-Solo des früheren Orchester-Chefs Hannes Schmeisser an der Bratsche.