1991 Herbstkonzert

14. Herbstkonzert

am 16.11.1991 in der Stadthalle Metzingen

Ferenc Farkas, geb. 1905 Partita all’ungaresca
nach ungarischen Tänzen aus dem 16. Jahrhundert
– Allegro moderato – Gagliarda – Passamezzo –
Saltarello – Intermezzo – Heiduckentanz
Wolfgang Amadeus Mozart
(1756 – 1791)
Konzert für Oboe und Orchester, C-Dur, KV 314
– Allegro aperto – Adagio non troppo – Rondo allegretto –
Solist: Marc Michael Renner
Ernst Krenek, geb. 1900 Sieben leichte Stücke für Streichorchester op. 146
– ruhig, doch fließend bewegt – kräftig, marschartig –
ruhig, zart – ziemlich schnell – sehr ruhig, zart –
leicht bewegt, zierlich – kräftig, entschieden –
Joseph Haydn (1732 – 1809) Symphonie nr. 64, A-Dur
– Allegro con spirito – Largo – Minuetto allegretto – Finale presto –
Dirigent: Hannes Schmeisser

Ferenc Farkas

Das Kammerorchester Metzingen eröffnet sein 14. Herbstkonzert mit einem Werk des hierzulande unbekannten ungarischen Komponisten Ferenc Farkas. Im Jahre 1905 geboren, gehört er der Komponistengeneration nach Bela Bartok (*1882) und Zoltan Kodaly (*1882) an. Man erwarte aber von Farkas keine moderne Musik: Er ist als Komponist traditioneller als seine beiden berühmten Vorgänger. Wie für das Oeuvre jener Musiker ist auch für sein Gesamtwerk die ungarische Folklore eine Hauptquelle seiner Inspiration, aber deren souveräner und origineller Umgang mit dem folkloristischen Rohstoff erreicht Farkas kaum.
Der hier erklingenden Partita all’ungaresca liegen ungarische Renaissance-Tänze zugrunde. Melodisch hält sich Farkas offenbar eng an die alten Tänze und durchbricht nirgendwo die kleingliedrige, kurzatmige Form in aneinandergereihten Vier- und Achttaktern. Über das Original hinaus geht dagegen seine Kontrapunktierung und Harmonisierung der Tanzmelodien. Aber gerade in diesem Freiraum für die Fantasie bewegt er sich etwas schulmäßig in Dur- und Molldreiklängen. Allerdings verfremdet er den Renaissance-Klang durch eine nicht den alten Tonarten entsprechende Harmoniefolge, die er aus der ungarischen Folklore hernimmt; erst damit verleiht er den aus Frankreich und Italien importierten Tänzen einen ungarischen Anstrich. Der erste Tanz, eine Basse danse, ist ein mäßig schneller Schreittanz im geraden Takt, der ein unisono vorgestelltes, etwas stampfendes Ostinato siebenmal variiert und umspielt; die Gagliarda,ursprünglich ein kecker Paartanz im Dreiertakt, ist hier in ihrer stilisierten, getragenen Spätform zu hören; der beschwingtere Passamezzo im Alla-Breve-Takt steigert sich dynamisch bis hin zu den kräftig artikulierten Abstrich-Akkorden gegen Schluss. Der Saltarello, ein schneller Springtanz im 6/8-Takt, markiert mit seinen Akzenten auf unbetonter Taktzeit die Sprünge der Tänzer. Nach einem kurzen, melancholischen, nicht taktgebundenen Intermezzo folgt als Schlusstanz der Hajdutanc, der als einziger Tanz kein ausländisches Muster nachahmt, sondern eine Tanzmelodie der Heiducken, der ungarischen Miliz des 16. Jahrhunderts, aufgreift. In den rasanten Schleifern der Geigen meint man die Säbel der Heiducken rasseln zu hören und spürt erstmals richtig etwas vom feurigen ungarischen Temperament.

Wolfgang Amadeus Mozart

Nach dieser Spielmusik zollt das Kammerorchester Metzingen seinen Tribut dem Mozart-Jahr mit dem Konzert für Oboe und Orchester C-Dur KV 314, das Wolfgang Amadeus Mozart 19jährig für den Salzburger Oboisten Giuseppe Ferlendi komponierte. Dieses Ferlendi-Oboenkonzert war lange Zeit verschollen und aus dem Briefwechsel Mozarts nur dem Namen nach bekannt. Erst ein Notenfund in unserem Jahrhundert (1920) brachte es wieder zu Tage; dabei erwies es sich als die Urfassung des bekannten, im KV 314 verzeichneten Flötenkonzerts D-Dur. Vermutlich hatte ein Flötist bei Mozart ein Konzert bestellt, und der Meister erledigte die Bestellung aus Zeitmangel durch eine schlichte Transposition des Oboenkonzerts. Schon damals hatte das Oboenkonzert einen guten Anklang gefunden und ist immer wieder gespielt worden, denn Mozart schrieb 13 Jahre später in einem Brief an seinen Vater: »… dan hat H. Ramm zur abwechslung fürs 5.“ mahl mein oboe concert für den ferlendi gespiellt, welches hier einen grossen lärm macht.« Auch seit seiner Wiederentdeckung wird das Konzert viel gespielt und hat noch nichts von seiner Ausstrahlung eingebüßt. Gleich das Hauptthema des ersten Satzes birgt mit seinen vier Synkopen eine frische Vitalität in sich. Und nach dem lyrischen zweiten Satz lässt Mozart ganz witzig die Solo-Oboe dem Orchester den Auftakt zum Schlusssatz geben; vielleicht hatte Mozart beim Komponieren das Gefühl »Welche Wonne, welche Lust herrscht nunmehr in meiner Brust«, denn mit diesen Worten paraphrasiert er die Oboen-Melodie einige Jahre später in einer Arie der Entführung aus dem Serail.

Ernst Krenek

Mit Ernst Krenek (*1900) steht ein zweiter Name eines zeitgenössischen Komponisten auf dem Programm, den man im strengen Sinn als Schöpfer moderner Musik bezeichnen kann. Er hat eine große Anzahl von Werken (bis 1988 waren es 240 Opera) in sehr verschiedenen Stilen und musikalischen Gattungen geschrieben. Glenn Gould charakterisierte Kreneks Vielseitigkeit einmal, indem er ihm die Worte »Ich muss alles einmal probieren« in den Mund legte, und Krenek bejahte dies. Grob lassen sich seine Schaffensperioden so einteilen: 1921 – 1924 freie Atonalität, 1924-1926 Neoklassizismus, 1926-1931 Neoromantik, 1931 – 1956 Zwölftonmusik, ab 1957 serielle (und auch elektronische und aleatorische) Musik. Krenek war nur kurzzeitig während seiner neoromantischen Phase ein populärer Komponist, als er mit seiner Jazzoper Jonny spielt auf aus dem Jahr 1927 einen Welterfolg verbuchen konnte mit über 100 Aufführungen in kurzer Zeit. Aber auch in den späteren zwölftonigen und seriellen Phasen blieben ihm große Ehrungen nicht versagt; so bekam er in seiner Stammheimat für seine Kompositionen 1955 den Preis der Stadt Wien und 1963 den großen österreichischen Staatspreis, obwohl seit 1937 die USA seine Wahlheimat war und blieb. Trotz alledem sind Krenek-Werke in Konzerten und im Rundfunk sehr selten zu hören und daher so gut wie unbekannt.
Die ins Programm aufgenommenen Sieben leichte Stücke für Streichorchester op. 146 sind 1955 entstanden und damals in Mainz uraufgeführt worden. Das Werk stammt also aus den letzten Jahren seiner zwölftonigen Kompositions-Phase und ist dementsprechend in der von Arnold Schönberg (ebenfalls Wiener) entwickelten Zwölftontechnik komponiert. Die Töne der chromatischen Tonleiter werden hier als gleichberechtigt angesehen und tauchen ständig alle nach einer vom Komponisten gewählten Reihe in melodisch und harmonisch engsten Umgebungen auf. Dadurch wird die Tonalität (Dur und Moll) fast völlig aufgehoben und höchstens auf kurze Momente eingeschränkt. Die melodische und harmonische Erfindung wird gleichzeitig stark stilisiert hin zu gleichmäßig dissonanten Melodielinien und Klangflächen. In den übrigen Dimensionen der Form, des Rhythmus, der Dynamik und der Klangfarbe kann sich die Fantasie des Komponisten frei bewegen und vielfältige Ausdrucksformen finden.
Kreneks Stücke op. 146 sind sehr kurze Charakterstücke, die alle etwa nur eine Minute dauern. Offenbar steht er hierin dem Schönberg-Schüler Anton von Webern nahe, der mit seinen bizarren, aphoristischen Stücken die Musik nach 1950 stark prägte. Krenek legt seinen Stücken die Zwölftonreihe d a h fis e g b c es f des as zugrunde, in der auf engstem Raum zwei entfernte tonale Bezirke verbunden sind: sie zerfällt in eine D-Dur- und eine Des-Dur-Hälfte. Im ersten Stück wird die Reihe, dreistimmig aufgefächert, von den Violinen und Bratschen vorgestellt und noch sechsmal  durchgeführt bis hin zum durch eine Mollterz getrübten Schlussdreiklang in Des-Dur. Die Reihe und die ganze Zwölftonkonstruktion wird dabei für den Hörer nicht griffig und spielt für ihn praktisch keine Rolle. Der Hörer lasse daher die verschiedenen subtile Klangcharaktere der Stücke auf sich wirken.

Joseph Haydn

Die Sinfonie nr. 64 A-Dur von Joseph Haydn ist um 1775/76 entstanden, also fast gleichzeitig mit Mozarts Oboenkonzert. Als 43jähriger hatte er damals schon fast 15 Jahre Erfahrung im Komponieren von Sinfonien, und dennoch sollten nochmals 5 bis 10 Jahre vergehen, bis ihm in seinen Pariser Sinfonien die sinfonischen Meisterwerke gelangen, die die Durchschnittsproduktion der klassischen Ära eindeutig überragten, und weitere 5 bis 10 Jahre bis zu seinen unvergänglichen Spätwerken, den Londoner Sinfonien. Was Mozart in seiner jugendlichen Genialität mit Leichtigkeit meisterte, ist bei Haydn die Frucht einer langjährigen ausdauernden Arbeit. Seine Pionierarbeit ebnete Mozart und Beethoven in mancher Hinsicht den Weg.
In der vorliegenden Sinfonie spürt man schon einiges von Haydns Pioniergeist. In der Exposition des ersten Satzes etwa stellt er dem noch recht traditionellen A-Dur-Hauptthema einen großen Dominant-Komplex gegenüber, der in kühner Harmonik bis hin nach Gis-Dur und C-Dur pendelt und streckenweise romantische Klänge und Melodienbögen vorwegnimmt. Im anschließenden Largo komponiert er eine ausdrucksvolle, weitausholende Melodie, deren Spannung durch ungewöhnliche Generalpausen erhöht wird; zunächst erklingt sie zweimal in den durch Dämpfer traumhaft verschleierten Streichern und schließlich noch zweimal mit Bläsern verstärkt. Im Menuett mit seinem Horn-Trio bewegt sich Haydn wieder im typisch klassischen Stil. Im Finale experimentiert er dann mit der Rondoform und lässt in den Streichern immer wieder das Presto-Piano-Thema vorbeihuschen und von Tutti-Passagen unterbrechen.

Dr. Wilfried Neumaier

Marc Michael Renner

geboren 1967 in Stuttgart
1978 Erster Oboenunterricht an der Musikschule Metzingen, später bei Martin Künstner in Reutlingen.
1980 Klavierunterricht an der Musikschule Metzingen bei Stefan Kramer
1987 Beginn des Studiums bei Prof. Ingo Goritzki an der Hochschule für Musik in Hannover.
Mitglied der Orchesterakademie Hamburg.
1989 Fortsetzung des Studiums an der Musikhochschule in Stuttgart. Mitarbeit an der Deutsch-Französischen Philharmonie.
1989 – 1990 Praktikant bei der Württembergischen Philharmonie in Reutlingen
seit 1990  Mitglied im Sinfonieorchester und Bläseroktett der Jungen Deutschen Philharmonie.