11. Herbstkonzert
am 19.11.1988 in der Stadthalle Metzingen
|
Das 11. Herbstkonzert des Kammerorchesters Metzingen wird dem Zuhörer diesmal »Leichtverdauliches« und daher auch »Gutbekömmliches« auf seiner musikalischen Speisekarte anbieten. Der Gastgeber hat ein Menü zusammengestellt, das kaum einen Wunsch offen lässt, was die Vielfalt musikalischer Formen und deren Repräsentierung durch für sie typische Komponisten berücksichtigt. Da steht nun obenan, gleichsam als hors d’ oevre, aber – um im Bild zu bleiben – gleich reichlich und festlich wie ein Hauptgericht, Georg FriedrichHändels Concerto Grosso Nr. 5 D-Dur aus der Reihe der 12 Concerti op. 6.
»Das kann nur der Teufel oder der berühmte Sachse sein«, soll Domenico Scarlatti bei einem Cembalovortrag des jungen Händel in Venedig von diesem gesagt haben, der ihm als gleichaltriger Konkurrent und bekannter Virtuose damals bald ein guter Freund werden sollte. Viel und von guter Qualität hat der als kein Kostverächter bekannte Maestro nicht nur gegessen und getrunken, sondern auch komponiert. So sind beispielsweise alle 12 dieser wunderbaren Concerti Grossi in nur einem Monat des Jahres 1739 in London entstanden.
Concerti Grossi sind neben dem Prinzip der Fuge mit ihrem kunstvoll thematisch verdichtetem Stimmgefüge nicht nur Standardformen einer bedeutenden Kunstepoche, sondern vielmehr musikalischer Ausdruck einer an Pracht und Repräsentation. Kraft und Leidenschaft kaum zu überbietenden Zeit: des Barock! Vivaldi und Corelli in Italien vollenden eine Konzertform, in der verschiedene Instrumente und Instrumentalgruppen, ja ganze Orchester konzertierend – was im Ursinn des Wortes wetteifern bedeutet – auf verschiedenen Emporen des Domes von San Marco in Venedig zu einem harmonischen, melodischen, mehrsätzigen Ganzen zusammenklingen.
G. F. Händel und auch Johann Sebastian Bach in seinen 6 Brandenburgischen Konzerten übernehmen begeistert diese neue Art zu musizieren. Händels 5. Konzert in D-Dur ist seiner Tonart entsprechend ein besonders glänzendes und in seinen Sätzen lebensfrohes Werk von heiterer Grundstimmung.
Bela Bartok, einer der großen folkloristischen Musiker unseres Jahrhunderts, verschaffte allein und erstmalig der ungarischen Musik Weltgeltung. In jungen Jahren, Brahms, Wagner und Richard Strauss als Leitbilder, versucht er als Komponist mit schon eigener Sprache, vor allem aber als hervorragender Klavierspieler, Beziehungen zur großen Musikwelt zu knüpfen. Er geht 1903 nach Abschluss seiner Studien zu diesem Zweck auf eine Konzertreise durch Europa, die ihn u. a. auch nach Berlin führt. Seine Bemühungen, dort die not- wendigen gesellschaftlichen Kontakte zu pflegen, haben etwas Rührendes an sich, denn sie liegen diesem scheuen und bescheidenen Mann aus der ungarischen Provinz einfach nicht. Ein lebenslanger Kampf deutet sich an. Bartok hat diese >>Technik« des sich Durchkämpfens trotz aller Anstrengung nie völlig beherrscht. Dieser »Mangel« bringt schließlich die große Wende in sein künstlerisches Leben. Der ungarische Patriot lernt, soweit er sie nicht schon kann, Sprachen des Balkans, wie zum Beispiel rumänisch, türkisch, ja sogar arabisch und zieht mit dem Phonographen – sozusagen schwer bewaffnet – auf die Dörfer, um Lieder und Tänze des Landvolkes zu sammeln und aufzunehmen.
Eine Auswahl dieser Lieder und Tänze bilden diesen Programmpunkt, der zudem noch eine liebenswerte und fast originale Bereicherung erfährt: die Ballettschule Ben Smida tanzt zur Musik Bartoks.
Bis zu seinem 18. Lebensjahr hat das Genie Wolfgang Amadeus Mozart allein 38 Symphonien geschrieben. Diese als Jugendsymphonien bekannten Werke sind mit wenigen Ausnahmen in Salzburg entstanden. Auf seinen ausgedehnten Reisen mit seinem Vater Leopold nach London, Rom und Mailand, lernte der junge Mozart von dem in London residierenden, berühmten Bachsohn Johann Christian das »singende Allegro« und in Italien, wo er höchste Auszeichnungen erhielt, den Sinn für den Belcantostil, der dort hochentwickelten Gesangskunst. Die Brüder Joseph und Michael Haydn taten an »Handwerklichem« dazu, was dem jungen Genie zur frühen Meisterschaft noch fehlte.
In der Salzburger Symphonie D-Dur KV 136 sind alle die Fertigkeiten bereits in hohem Maße vorhanden und lassen das 3-sätzige, noch ohne Bläser auskommende symphonische Werkchen wie aus einem Guss erscheinen.
Mit dem Aufkommen nationaler Bewegungen in vielen Ländern Europas um die Mitte des vorigen Jahrhunderts nahm auch die Musik oftmals nationalen Charakter an und versuchte die neugefundene Identität mit ihren Möglichkeiten zu unterstützen. Man sprach von den »Nationalen Schulen«. Vor allem abseits der Mitte der traditionsreichen Musik Europas, suchten und fanden die Völker ihre eigene Sprache.
Die Skandinavier Grieg und Sibelius, der Engländer Edward Elgar, die »mächtigen Fünf« aus Russland, unter ihnen so bedeutende Namen wie Mussorgsky, Borodin und Rimsky-Korssakoff gaben der Musik der Welt neue Impulse.
Nach Smetana und Dvorak gilt Leos Janacek als der Repräsentant der »jungen« tschechischen Musik. In seiner Suite, die noch in seiner ersten Lebenshälfte erstand (1891), erklingen in den sechs Sätzen locker aneinandergereihter Stimmungsbilder, mehr tondichterische Elemente an. Gegenüber der »Barocken Suite« tritt das tänzerische Element zugunsten einer subjektiven Tonsprache des Komponisten auffällig in den Hintergrund. Die Intensität des Streicherklangs ist wie bei vergleichbaren Streichersuiten und -serenaden, etwa bei Grieg und Tschaikowsky, von starker Aussagekraft.
Wilfried Klaffke
Zu den Bagatellen für Streichorchester schreibt Uli Molsen: »Nach einer Musikwoche des LAM, auf der ich als Orchesterleiter mitgearbeitet hatte, klang mir intensiv das aufgeschlossene Wesen der Gemeinschaft quasi in Tönen nach. Dieses ein wenig »wehmütige« Suchen der jungen Leute, wie es die Dichter mit der blauen Blume beschrieben haben, zusammen mit dem Nachklang der gespielten kleinen Stücke von Hindemith und Bartok, verdichtete sich dann zu den Bagatellen. Obwohl seither einige Zeit vergangen ist, hänge ich selbst sehr an diesen Stücken, weil sie vielleicht eine eigene Sehnsucht am deutlichsten schildern.
Uli Molsen, Juli 1988
Uli Molsen
wurde l947 in Hechingen geboren. Er ging in Balingen zur Schule und begann nach dem Abitur in Trossingen Klavier, Kontrabass, Chorleitung und Dirigieren zu studieren. Mit dem Examen in der Tasche übernahm er im Herbst 1970 für eineinhalb Jahre die Leitung der noch ganz jungen Metzinger Musikschule, bevor er wieder in seine Heimatstadt Balingen zurück kehrte. Dort leitet er bis heute die Fachgruppe Klavier an der Jugendmusikschule. Daneben nahm sich Uli Molsen die Zeit, bei Prof. Helmut Degen seine Klavier- und Kompositionsstudien weiterzuführen und mit dem künstlerischen Abschluss zu beenden. 1m Zusammenhang mit seiner Lehr- und Vortragstätigkeit hat Uli Molsen eine Reihe von interessanten Arbeiten veröffentlicht:
-
die Geschichte des Klavierspiels in historischen Zitaten, seit 1987 in Japan erschienen
-
eine Klavierschule und verschiedene Spezialhefte zum Pedalspiel, bei Sikorski in Hamburg
-
eine Klavierschule für Erwachsene, demnächst bei Heinrichshofen
-
eine Sammlung von Klavierstücken unter dem Titel »Schatzkiste«, demnächst bei Sikorski
-
philosophisch-pädagogische Abhandlungen u.a. zur Suzukimethode und zur Elektronischen Musik .
Neben den vier Bagatellen für Streichorchester stammen von Uli Molsen verschiedene Werke für zwei Klaviere, für Klavier zu vier Händen und ein Concerto für 4 Celli, 4 Bläser und Streichorchester.
Ballettschule Ben Smida
Die Ballettschule Ben Smida wurde vor ca. zehn Jahren von der im englischen Ballettsystem der Imperial Society of Teachers of Dancing, London, ausgebildeten Ballettpädagogin Christine Höniger-Ben Smida gegründet. Sie unterrichtet heute in Metzingen, Dettingen, Bad Urach, Neckartenzlingen und Münsingen. Davor leitete sie die Ballettabteilung der städtischen Jugendmusikschule Filderstadt und unterrichtete an der Privatschule von Gisela Ronecker (Ehemalige Ballettlehrerin der John-Cranko-Schule) in Fellbach.
Unbeirrt von allen Modeerscheinungen auf dem Gebiet der tänzerischen Körperbildung hält Christine Höniger-Ben Smida konsequent an der methodischen Balletterziehung, deren Erfolg sich heute an den Leistungen langjähriger Schülerinnen zeigt, fest.
Dabei ist es nicht das Ziel der Schule, ihre Schüler bis zur Bühnenreife auszubilden. Es werden aber besonders talentierte und ehrgeizige Schüler, die Ballett als Beruf anstreben, nach einer soliden Vorausbildung an ein Staatliches Institut weiter vermittelt.
Für das 11. Herbstkonzert des Kammerorchesters hat Christine Höniger-Ben Smida die Choreographie zu Bela Bartoks »Zehn Vortragsstücke für Kinder« entworfen und einstudiert.