1986 Herbstkonzert

9. Herbstkonzert am 15.11.1986

Giuseppe Torelli (1658 – 1709) Sinfonia in D-Dur für Trompete und Orchester
– Allegro – Adagio – Allegro – Allegro –
Charles Ives (1874 – 1954) Die unbeantwortete Frage
Johann Baptist Neruda
(1706 – 1780)
Konzert für Trompete und Orchester in Es-Dur
– Allegro – Largo – Vivace –
Solist: Matthias Beck, Trompete
Giacomo Puccini (1858 – 1924) Chrysantehmen
– Andante mesto –
Benjamin Britten Simple Symphony
– Boisterous Bourrée – Playful Pizzicato – Sentimental Saraband – Frolicome Finale –
Dirigent: Hannes Schmeisser

Giuseppe TORELLI stammt aus Verona, wo er 1658 geboren wurde. Seine Ausbildung als Geiger und Komponist erfolgte in Bologna, einer Hochburg der italienischen Musik dieser Zeit. 1684 wurde er Mitglied der berühmten Accademia dieser Stadt und Mitglied der Kapelle an San Petronio. 1695 ging er nach Wien, zwei Jahre darauf als Kapellmeister nach Ansbach, aber schon 1700 wieder über Wien in die italienische Heimat. Er starb 1709 zu Bologna. Torelli ist einer der wichtigsten Komponisten der großen Gattung Konzert, wenn schon nicht der Begründer des Concerto grosso, dann jedenfalls der erste, der Solo-Violinkonzerte schrieb. Wahrscheinlich stammen von ihm auch die ersten Trompetenkonzerte. 28 Konzerte mit diesem Solo-Instrument sind von ihm überliefert! Die Tonart D-Dur ist mit Beziehung auf die Stimmung des Instruments besonders beliebt. Die Satz-Architektur hat noch nicht die Größenmaße des Hochbarock. Die einzelnen Sätze sind z.T. äußerst knapp gehalten. Ein Allegro macht den Anfang. Die beliebten Motivketten in daktylischen Rhythmen kennzeichnen schon die Streicher-Einleitung. Nach vier Takten setzt die Trompete ein, fanfarenartig, die Motivik des Tutti aufgreifend. Die Solo-Partien umfassen meist nur ein bis zwei Takte, wirken also als Glanzlichter über dem Tutti, in dem die erste Violine dominiert. Ein achttaktiges Adagio beginnt in fis-moll und endet in A-Dur, der Dominanttonart des Konzertes. Die Solo-Trompete schweigt. Im nachfolgenden kurzen Allegro nimmt sie wieder den Platz wie im Anfangssatz ein und wirkt in ähnlicher Weise. Das Schluss-Allegro ist nach Art der Gigue im Sechsachteltakt gehalten, vital und virtuos. Über der führenden ersten Violinstimme setzt die Trompete ihre Signale und kurzen Läufe.

Charles Edward IVES ist erst in unseren Jahrzehnten entdeckt worden. Der Amerikaner lebte von 1874 bis 1954 und war eigentlich Versicherungsbeamter, der die Komposition in aller Stille betrieb. Als Organist und Komponist hatte er eine gute Ausbildung an der Yale University. Man hat ihn »Vater der modernen amerikanischen Musik« genannt. Das stimmt in der Retrospektive, denn wegen seiner Unbekanntheit übte er keinen Einfluss auf die jüngere Generation aus. Beim Betrachten des Gesamtwerkes ergeben sich erstaunliche Entdeckun­gen. Schon um die Jahrhundertwende bekannte Ives sich zu Atonalität, zu Collagetechniken und zu einer zukunftsweisenden Raummusik. Neben seinen Symphonien und Chorwerken stellt das hierzulande oft und gern gespielte Kammermusikwerk »The unanswered Question« (Die unbeantwortete Frage) nur ein Nebenwerk dar. Aber es gewinnt an Bedeutung, wenn man die hier sinnvoll erprobte Komposition in einer Art Stereo-Planung einmal analysiert. Ein vierstimmiger Streichersatz in großen Werten, durchweg in ppp und mit Dämpfern gespielt, bildet den Klanghintergrund, choralisch, in weiter Lage und tonal. Darüber erklingt nach 15 Takten zum erstenmal die chromatische, fünftönige, mit Triolen durchsetzte, also rhythmisch schwebende Frage der Trompete. Es ist eine gestische Motivik, die wirklich fragt. Insgesamt siebenmal erklingt diese Frage, rhythmisch und tonlich nur leicht variiert. Da­zwischen aber und ebenfalls über dem choralartigen Streicherteppich spielen vier Flöten atonal komplexe Gruppen, die Adagio piano beginnen, sich im Tempo und in der Lautstärke immer mehr steigern, bis sie con fuoco fff in reiner Expression wie schreiend »Nein« sagen und die Frage abwehren. Diese Partien könnten in ihrem Ausdruck von Schönberg sein! Ungerührt von diesem Aufruhr bleiben die leisen Streicher mit ihrem Choral und unbeant­wortet steht schließlich noch einmal am Schluss die traurige Frage der Trompete im Raum. Das einundsechzig Takte lange Stück hat eine ungewöhnliche Faszination und bleibt jedem Hörer in Erinnerung.

Johann Baptist Georg NERUDA (1706 bis 1780) gehört zu den ungezählten böhmischen Musikern, die schon im Hochbarock und erst recht dann in der Folgezeit auswanderten, um an den Höfen der europäischen Fürsten ihr Glück zu machen. Von 1742 bis 1772 war er Geiger der Holkapelle in Dresden. Wahrscheinlich ist von seinem schier unabsehbaren Lebenswerk nur ein kleiner Teil erhalten geblieben. Sein Trompetenkonzert in Es-Dur zeigt wohl noch barocke Züge. Aber schon beim ersten Tutti wissen wir, dass eine neue Zeit ange­brochen ist, in der die quadratische Struktur der Themen (Gliederung in Zweier-, Vierer- und Achtergruppen der Takte) entscheidend sein sollte. Das sind nun ausgewachsene Sätze und die Solo-Trompete spielt nicht mehr nur kurze Signale, sondern lange Entwicklungen. Die dynamischen Wirkungen (subito piano u.a.) könnten an barocke Terrassendynamik erinnern, sind aber Ausdruck eines neuen, dem »Sturm und Drang« oder der »Empfindsamkeit« zugehörigen Lebensgefühls. Musikantische Frische und manche rhythmische Eigenheit weisen auf den tschechischen Nationalcharakter des Komponisten. In der Mitte des Werks steht ein Largo (in der Grundtonart!) mit kleingliedriger Motivik der Melodiestimmen über der Achtelbegleitung. Hier ist die Generalbassbeziehung noch deutlich. Die Thematik ist auf weite Strecken für Tutti und Solo gemeinsam. Das abschließende Vivace verdient wieder mehr das Interesse des Hörers. Hier ist (abgeleitet von Menuett-Thematik) ganz offensichtlich der tschechische Tanz rhythmisch maßgeblich. Das harmonische Geschehen führt auch in den Moll-Bereich der Paralleltonart. Alles in allem ein lustiger Kehraus, der frühklassisch und doch auch wieder landschaftlich getönt anmutet.

Giacomo PUCCINI schrieb sein Streicherstück mit dem bezeichnenden Titel »Chrysanthemen« zum Gedächtnis an Amadeo di Savoja, den Herzog von Aosta. Der Meister der veristischen Oper hatte sich auf der Bühne erst mit »Edgar« versucht (1889). Ein Jahr später entstand unser Stück, also längst vor »Manon Lescaut«, »La Boheme« und »Tosca«. In dem dreiteiligen Da-capo-Andante lebt schon die ganze Süße des Melodikers Puccini, mit ihren Vorhalten, den chromatischen Aufladungen, den Terzen- und Sextenparallelen. Cis-moll gibt eine trauervolle Klanglichkeit. Zahlreiche Ritardandi und Accelerandi sorgen für eine Rubato-Rhythmik, die der Klage dient. Ein Unisono-Ausbruch im ff sinkt (ähnlich wie bei Tschaikowski) schluchzend wieder zurück. Das Mittelstück bringt neue Motivik und bewegtere Begleitung, die auch in der Coda noch nachklingt.

Benjamin BRITTEN (1913—1976) wurde zunächst von seiner Mutter, einer Sängerin, ausge­bildet und komponierte schon mit 5 Jahren. In den frühen zwanziger Jahren entstanden bereits bemerkenswerte und geschlossene Kompositionen. Auf einige dieser Kinderwerke beziehen sich auch die Themen der »Simple Symphony« für Streichorchester op. 4 (1934). Es ist ein liebenswertes Werkchen, so recht für Jugend- und Laienorchester geeignet, voll Lebens­freude und Unbekümmertheit. Die »ungestüme Bourée« zeigt schon mit ihrem Titel, dass wir es hier eigentlich mit einer Suite zu tun haben. Gleichwohl ist thematisch-motivische Arbeit mit kleinen Partien im doppelten Kontrapunkt »sinfonisch« gemeint. Dazwischen wird mit Bordun-Bässen der Tanzcharakter immer deutlicher. Die Thematik stammt aus Brittens Klaviersuite von 1926. An zweiter Stelle steht ein scherzhaftes Pizzicato, das möglichst schnell gehen soll. Ein Scherzo von 1924 stand Pate. Das Trio ist einem Lied dieses Jahres nach­gestaltet, wieder mit akkordisch-stehendem Klanggrund. Eine »sentimentale« Sarabande schließt sich an, der Klaviersuite Nr. 3 (1925) verpflichtet. Der Mittelteil stammt aus einem Walzer für Klavier von 1923. Das »lustige Finale« greift die 9. Klaviersonate von 1926 auf. Hier ist zwar auch die Folklore der Heimat, der britannischen Heimat, besonders die Hornpipe und der Dudelsack wieder herauszuhören. Aber es gibt auch »simple«, d.h. schlichte sin­fonische Satzelemente wie kanonische Führungen und Modulationsgruppen in entlegene Bereiche. Lustig ist die Tonalität: in g-moll beginnend, über ein archaisch gefärbtes d-moll zur schließlich dominierenden Grundtonart D-Dur führend. Britten widmete das ergötzliche Werk seiner Bratschenlehrerin Audrey Alston, die ihn mit seinem nachmaligen Kompositions­lehrer Frank Bridge zusammenbrachte.

Karl Michael Komma

 Matthias Beck

geboren 1962 in Dettingen/Erms, erlernte das Trompetenspiel als Elfjähriger im CVJ M-Posaunenchor Dettingen, wo er heute noch aktiv mitwirkt.

Sein Hauptinstrument war aber zunächst die Blockflöte^ mit der er 1978 sein Studium an der Hochschule für Musik und darstellende Kunst in Stuttgart begann.

Nach zwei Semestern Blockflötenstudium bei Prof. Hartmut Strebet belegte er Trompete als Nebenfach bei Prof. Heribert Rosenthal. Bald riet ihm dieser, die Trompete neben der Blockflöte als weites Hauptfach zu studieren. 1984 hatte Matthias Beck sein Musikstudium in Stuttgart und Nürnberg erfolgreich abgeschlossen.

Elegant löste er nun das Wehrdienstproblem beim Heeresmusikkorps l in Hannover. Dort gewährte man ihm viel freie Zeit zum Üben und für seine beginnende Konzerttätigkeit: »… ein Talent mit musikantischem Elan, elegant-kultiviertem Ton und dynamischer Phrasierung.« (Zitat aus dem Nagolder Tagblatt.)

Die erste LP von Matthias Beck mit dem Titel ^Trompete und Orgel -Musik aus vier Jahrhunderten« ist im Oktober dieses Jahres erschienen. Den Orgelpart spielt die Stuttgarter Organistin Hildegund Treiber, mit der er seit seiner Stuttgarter Studienzeit zusammenarbeitet.

Zur Zeit lässt sich der Dettinger Trompeter in Rüsselsheim als Instrumenten­macher für Metallblasinstrumente ausbilden.