Tango, Bach, vitale Rhythmen
Metzinger Volksblatt vom 22.10.2013
Was uns gefällt: Unter diesem Motto präsentierte das Kammerorchester Metzingen am Sonntag in der Stadthalle Musik von Barock bis Moderne.
MANFRED FRISCHKNECHT |
Wunschkonzerte erfreuen sich weitgehend größter Beliebtheit. Was damit zusammenhängt, dass es zu den elementaren menschlichen Bedürfnissen gehört, Wünsche zu haben, Wünsche zu äußern und sich Wünsche erfüllen zu lassen. Normalerweise geschieht dies in Konzerten in der Weise, dass Besucher ihre Lieblingsstücke oder -melodien mitteilen und diese dann gespielt werden. Das Kammerorchester Metzingen, dem man nachsagt, Mut zu Neuem zu haben, ging einen ganz neuen Weg: Es ließ nicht die Zuhörer, sondern die Musiker ihre Wünsche sagen.
Und was dabei herauskam, das war ein Wunschkonzert, das am Sonntag in Metzingens guter Stube, der Stadthalle, stattfand. Die mehr als 30 Streicher, darunter viele Liebhaber, begannen mit der dreisätzigen Streichersinfonie des noch ganz jungen Felix Mendelssohn Bartholdy. Sie verstanden es dabei, nicht nur die Zartheit des kantablen Adagios herauszuarbeiten, sondern auch die schnelleren Stellen im Allegro und Più Presto tadellos zu spielen. Bachs 5. Brandenburgisches Konzert D-Dur (BWV 1050) erklang in einer Bearbeitung für die drei Soloinstrumente und volles Streichorchester. Der erste Satz war ein fröhliches Musizieren, und die Tatsache, dass anstelle des von Bach vorgesehenen Cembalos ein Klavier und statt der Traversflöte eine Querflöte musizierten, tat dem Musikgenuss überhaupt keinen Abbruch: Es müssen nicht immer historische Instrumente sein. Die beiden Solistinnen, Beatrice Erhart (Flöte) und Ulrike Ziegler (Violine) überzeugten durch farbenreiche Interpretation, ergänzt durch das perlende Klavierspiel von Stephen Blaich, Organist an der Metzinger Martinskirche.
Der zweite Satz wurde ausschließlich von den drei Solisten gestaltet und bestach durch die dargebotene Ruhe und Stille mit der Eingangsmelodie und durch feinfühlige Piano-Stellen. Fugenartig rannen die drei Instrumente dem Thema des dritten Satzes nach, gefolgt vom Orchester, das mit herzhaften Akkorden Marksteine setzte.
Die punktierten Rhythmen dieses dritten Satzes befeuerten den Herzschlag der Zuhörer. Man spürte auch in diesem Stück, wie sehr sich die Begeisterung des Dirigenten Oliver Bensch auf seine Musiker überträgt. Diese folgten seinen präzisen Vorgaben, die er in sparsamsten Bewegungen mitteilte.
Hoffnungsvoll startete der zweite Konzertteil. Der finnische Komponist Aulis Sallinen (Jahrgang 1935) schuf eine Tangoouvertüre für Streichorchester und Klavier: Zu letzterem gesellten sich zunächst die tiefen Streicher wie Celli und Bässe, dann auch die übrigen. Blumige Akkordbrechungen im Klavier, Pizzicati der Streicher, viele Triller und mitreißende Rhythmen, aber auch manches Dunkle.
Es folgte die Elegie aus Tschaikowskys Serenade mit ausdrucksvoller Dynamik, da schwelgten die Musiker in seligen Melodien. Die Pizzicato-Polka von Johann Strauss mit ihren feinen Nuancen huschte vorüber, und das Urgestein des Kammerorchesters, Hannes Schmeisser, zog mit seiner Bratsche und einem spanischen Tanz von Manuel de Falla die Zuhörer in seinen Bann – samt einem am Schluss getrampelten „Olé“. Als Ausklang spielten die Streicher noch Schumanns Abendlied. Es war ein gelungenes Konzert.
Konzert – Kammerorchester spielt »was uns gefällt«
Reutlinger General-Anzeiger vom 22.10.2013
Programm aus der Wunschbox
VON VERONIKA RENKENBERGER
METZINGEN. Wie erzieht eigentlich der Lehrer seine Kinder? Was verschreibt der Arzt seiner Frau, wenn sie Grippe hat? Und welche Kompositionen möchte ein Orchester-Musiker spielen, wenn er endlich mal selbst aussuchen darf? Das Metzinger Kammerorchester hat es ausprobiert. Eine Wunschbox wurde aufgestellt, Dirigent Oliver Bensch wertete die Wahlscheine aus, demokratisch, aber auch mit Minderheiten-Schutz. So entstand fürs 36. Herbstkonzert eine Mischung, wie man sie nicht jeden Tag auf einem Konzertprogramm findet – ein kleinteiliges Musikmosaik aus dreieinhalb Jahrhunderten. Rund 200 Interessierte kamen am Sonntagabend zum Zuhören in die Metzinger Stadthalle.
Felix Mendelssohn Bartholdy schrieb in früher Jugend Streichersinfonien. Einen Satz aus der Nr. 10 gab es zum Auftakt – ein Stück voll satter Wärme und Sonnenlicht, quasi ein Gegengift zum nassgrauen Herbst vor der Tür.
Bach neu orchestriert
Drei Sätze aus Bachs fünftem Brandenburgischen Konzert schlossen sich an, in einer Orchestrierung, wie man sie selten hört: Um keinen seiner acht Cellisten zum Pausieren zu zwingen, hatte Dirigent Bensch einfach auf massivere Klänge gesetzt und das zarte Cembalo durch einen Flügel ersetzt. An dem saß Stephen Blaich und verwob seine Partie gekonnt mit Flötistin Ulrike Ziegler und Beatrice Erhart an der Geige. Vielleicht hätte es gutgetan, die Solo-Instrumente zwischen den Sätzen noch mal nachzustimmen – insgesamt gelang der Klassik-Hit in gemäßigtem Tempo stimmig.
Die zweite Hälfte wurde moderner. Finnischer Tango, erfuhr man vom moderierenden Bensch, habe erstens viel Tradition und zweitens im Melodischen einen steten Drang nach unten. Zeitgenosse Aulis Sallinen hat 1996 »Introduction und Tango Overtüre« geschrieben. Seine sehr chromatisch angelegten Motive mäanderten tatsächlich abwärts, dabei zwischen Harmonien kippelnd. Hier konnte man besonders gut erleben, wie Bensch und sein Orchester Musik verstehen und sich zu eigen machen.
Unverwüstlich und »sackschwer«
Als »unverwüstlich«, aber auch »sackschwer« etikettierte der moderierende Dirigent die Streicherserenade Opus 48 von Tschaikowsky. Wenigstens die langsame Elegie sei für seine Metzinger zu schaffen, hatte er entschieden und führte es gleich vor: Die große Bewegung war drin, das Schwingen und die Weite.
Anschließend gab’s zur Erheiterung schon mal die spätere Zugabe: Johann Strauß’ Pizzicato-Polka, ein musikalischer Scherz, und wieder sah man, wie die rund 40 Mitglieder an ihrem Dirigenten hängen, dem Chefscherzer, dessen Hände die Pointen gekonnt platzierten.
Vor Schumanns »Abendlied« hatte es noch ein Mosaikstein mit spezieller Geschichte aus der Wunschbox auf die Bühne geschafft: Manuel de Fallas »Spanischer Tanz« gilt längst als Bravourstückchen. Orchestermitglied Gotthard Schulz hatte es eigens neu arrangiert für die Metzinger und ihren Solo-Bratschisten, den früheren Dirigenten Hannes Schmeisser. Eine effektreiche Uraufführung, die mit einem kollektiven Fußstampfen und besonders herzlichem Applaus endete. (GEA)